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Die Tischregel Jesu

28. August 2022

„Wo soll ich sitzen? Wo ist mein Platz? Nicht nur bei Hochzeitsfeiern oder Geburtstagsfeten, sondern beinahe tagtäglich stellen wir uns – bewusst oder unbewusst – diese Frage: Bei Dienstbesprechungen oder Projektsitzungen, hier in der Kirche oder bei Tisch… Auch die Frage nach Einladungslisten und der richtigen Platzvergabe für Gäste kennt womöglich jeder und jede von uns. Und wer solche Situationen kennt, der weiß auch, wie viel Zeit Diskussionen über die richtige Platzierung von Gästen einnehmen. Nicht zuletzt ist da auch die quälende Frage, wo die Grenze zu ziehen ist, wen man einlädt und wen nicht; ganz zu schweigen von der Begründung, warum der/die eine eingeladen ist und der/die andere nicht…

Kurzum, beide Perspektiven, die des Gastes, der zu Tisch kommt, und diejenige des Gastgebers, sind uns nur zu gut vertraut. Steckt dahinter, hinter der richtigen oder besten Positionierung im Prinzip nichts anders als die Suche nach Anerkennung?

Wenn heute unser Blick mit Jesus auf die Schabbat-Tischgemeinschaft im Haus eines führenden Pharisäers gelenkt wird, dann zielt er, Jesus, genau auf diese Sehnsucht des Menschen nach Anerkennung. Er beobachtet nämlich, wie sich die Gäste im Haus des Pharisäers die besten Plätze aussuchen. Genau deshalb setzt er mit seiner Mahnung auch bei dem an, was die Menschen erstreben: Anerkennung bzw. das Gesehen-Werden. – Doch Jesus tadelt nicht grundsätzlich diese menschliche Sehnsucht. Schließlich spricht für ihn nichts dagegen am Ende doch noch vom Gastgeber an den vordersten Platz gesetzt zu werden…

Wogegen Jesus jedoch Stellung bezieht, ist das Streben, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen! Den richtigen Platz findet man im Zusammenspiel mit den anderen Gästen und dem Gastgeber. Und das kann dann mal ganz vorne und mal eher hinten am Tisch sein. Wer aber immer nach oben oder vorne will, läuft Gefahr brüskiert zu werden, weil er/sie sich selbst zu wichtig nimmt und überschätzt. Daher lehrt Jesus uns als Verhaltensgrundsatz für das Leben: ‚Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt wird erhöht.‘

Die Tischregel Jesu ist nicht einfach eine allgemein sittliche Mahnung, sondern sie spricht eine Wahrheit des Gottesreiches aus. Der Wunsch, sich selbst ins richtige Licht zu rücken, und das Streben nach den besten Plätzen sind weder im Hinblick auf die Mitmenschen noch auf Gott hin erfolgreich!
Die verborgene, ja gelebte Innenseite dieser Tischregel Jesu, die eigentliche Wahrheit, wird bei einem anderen Mahl deutlich: beim Letzten Abendmahl. – und hier beim Gastmahl des Pharisäers spricht Jesus vom Gastmahl im himmlischen Reich, wo er selbst der Gastgeber ist, und das Letzte Abendmahl ist das Vorausbild dieses Mahls der Liebe. Dort geht es eben nicht um berechnende Höflichkeit, sondern um die Grundhaltung der dienenden Liebe: ‚Ich bin unter euch wie der, der bedient‘, sagt Jesus in Lukas 22,17. – Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn im Evangelium nicht davon die Rede ist, welchen Platz Jesus beim einladenden Pharisäer eingenommen hat. Ist es bereits hier der letzte Platz, dem Ort der demütigen Liebe?

In der Feier der Eucharistie ist nun Jesus Christus selbst der Gastgeber. Ihn, der die fleischgewordene Liebe ist, zu empfangen, ist der Auftrag an uns; wir sind die Gäste, die bereit sind auch den letzten Platz einnehmen, wann immer es möglich ist. Einer Frau, die hier aus dem Heiligen Land stammt und, die sich selbst immer den letzten Platz zugewiesen hat, schließlich bis zur Ehre der Altäre erhöht wurde, soll das abschließende Wort gehören: der Heiligen Mariam von Abellin – am vergangenen Donnerstag haben wir ihren Gedenktag gefeiert:

‚Wenn ihr groß sein wollt, seid klein! Sucht nicht geschöpfliche Größe! […] Klein sein, klein sein! Die Demut schützt. […] Die Demut ist zufrieden, die Demut ist glücklich, überall glücklich; die Demut ist mit allem zufrieden; die Demut trägt immer den Herrn in ihrem Herzen. Der Hochmut regt sich über alles auf, alles ekelt ihn, alles erzürnt ihn, alles erniedrigt ihn. Die Demut freut sich in dieser Welt und in der andern. Glücklich die Kleinen! Überall gibt es einen Platz für sie. Aber die Großen stoßen überall an. […] Hochmut bringt Verwirrung, doch das demütige Herz ist das Gefäß, der Kelch, der Gott enthält.‘ Amen.“

Pater Simeon und alle Brüder in Jerusalem und Tabgha wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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