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Seht, das Lamm Gottes!

15. Januar 2023

„‘Seht, das Lamm Gottes!‘ Unzählige Male haben wir diese Worte schon gehört, gesprochen oder gesungen. Ist dieses Bekenntnis für uns zu einer Formel erstarrt? ‚Lamm Gottes‘, klingt das uns nicht zugleich auch sehr fremd? Wir wundern uns, wenn wir versuchen eine Ähnlichkeit, eine Verbindung zwischen dem Jesus unseres Glaubens und diesen possierlichen Tieren zu sehen, die man im Frühjahr hier und da noch auf einer Schafweide herumspringen sieht.

‚Lamm Gottes‘ ist ein Hoheitstitel, mit dem die junge Kirche versuchte zu verstehen, was es mit diesem Jesus auf sich hat. Die ersten Christen blickten auf das jüdische Pessach, auf das Lamm, das am Vorabend des Auszugs der Israeliten aus Ägypten geopfert und verzehrt wird. Das Blut des Lammes, an die Türrahmen der Hebräer gestrichen, schützte sie vor der Vernichtung durch den vorübergehenden Engel Gottes. Die ersten Christen deuteten Jesus von seinem ersten Auftreten an als denjenigen, der sein Blut hingibt, um alle zu befreien, die verstrickt sind in die Sünde der Welt und die drohen unwiederbringlich in ihr unterzugehen. So ist es verständlich, dass auch der Evangelist Johannes bei der Darstellung des ersten öffentlichen Auftretens Jesu unseren Blick auf das Ende Jesu während des Paschafestes lenkt: ‚Seht, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt!‘

Doch wenn Gott wirklich Liebe ist, kann es dann sein, dass er mit dem Tod Jesu, des Opferlammes, versöhnt und befriedigt werden muss? Nehmen wir nicht zu Recht Anstoß an der schier unerträglichen Passivität eines Losers, wenn in der Apostelgeschichte zur Deutung des Schicksals Jesu der Prophet Jesaja zitiert wird? – ‚Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt, so tat auch er seinen Mund nicht auf.‘

Jesus hat sich frei und souverän in die Hände von Menschen gegeben: ‚Niemand entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen.‘ Wenn er sein Leben hingibt, dann, um es auf ewig gewandelt zurückzunehmen. Und beim Abendmahl im Obergemach ist es Jesus selbst, das Lamm, das geschlachtet werden soll, der seinen Freunden sein Blut zu trinken gibt. Es sind nicht mehr Türrahmen, die mit Blut bestrichen und markiert werden. Hier nehmen die Freunde Jesu – und dürfen wir uns nicht auch so bezeichnen? - das vergossene Blut innerlich auf. Es wird ihr und unser Blut. Blut ist Leben und Sitz der Seele. Wir leben das Leben des Lammes.

Die Menschen, die zu Johannes dem Täufer kamen, dachten vielleicht, dass sie mit der Taufe im Jordan am Ende ihrer Reise, am Ende ihres Bekehrungsweges angekommen sind. Aber Johannes verweist sie mit Nachdruck auf einen geheimnisvoll Anderen, der ihm voraus ist, weil er vor ihm war; sowohl Vergangenheit als auch Zukunft; sowohl Anfang als auch Ende, Alpha und Omega. Johannes der Täufer ist die Gegenwart, das Jetzt, das nur ein Durchgangsort sein kann. Einige Zuhörer des Johannes werden Jesus nachfolgen - vielleicht in der Hoffnung, dass sie bei ihm ans Ziel ihrer Reise angekommen sind. Aber Jesus wird sie ohne Unterlass auf die Straßen des heiligen Landes führen, und wenn sie ihn bis zu seinem Tod begleitet haben werden, dann geht es für sie hinaus bis an die Enden der Erde - eine Reise, ein Weg, der kein Ende in dieser Welt kennt. Ihr und unser Berufungsweg ist schon jetzt; und gleichzeitig noch nicht. Das letzte Wort ihrer und unserer Geschichte hat ein Anderer.

Wir wollen daher mit unseren Gewissheiten, unseren Gewohnheiten, unseren Überzeugungen und Urteilen vorsichtig sein. Bleiben wir doch offen für ein Anderswo, für einen ganz Anderen, für Christus, der unsere Sehnsucht ist, von dem wir aber wie Johannes der Täufer gleichzeitig bekennen müssen: ‚Ich kannte ihn nicht.‘ Unsere Sehnsucht ist mit der Hoffnung verbunden, dass wir ihn eines Tages mit Gewissheit kennen werden. Hier und jetzt sind wir auf dem Weg. Wir dürfen gewiss sein, dass er schon da ist, dass er selbst der Ursprung für unsere Sehnsucht und unsere Hoffnung ist.“

Pater Josef und alle Brüder in Tabgha und in Jerusalem wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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