Das Heilige Land gilt nahezu allen Christen der Erde als Ursprungsland des christlichen Glaubens und deshalb als besonderer Flecken Erde. So sind in Jerusalem denn auch beinahe alle christlichen Konfessionen und Denominationen vertreten. – Ökumene im wahrsten Sinne des Wortes, denn übersetzt bedeutet das griechische oikumene nichts anderes als „bewohnte Welt“. Doch auch im übertragenen Sinne ist Jerusalem ein Ort der Ökumene, der Begegnung und des Gesprächs der verschiedenen Christen.
Im Alltag
Abt Gregory im Gespräch.
Das Wichtigste an der Jerusalemer Ökumene ist vielleicht, dass man den Alltag miteinander teilt. Und der ist nicht immer einfach. – Nicht untereinander und nicht im speziellen gesellschaftlichen Umfeld des Heiligen Landes.
Wenn sich die verschiedenen Konfessionen und Gemeinschaften vor allem in der Grabeskirche einmal wieder streiten, gar handgreiflich den Konflikt austragen, ist das wahrlich kein schönes Zeugnis von der christlichen Botschaft. Doch weitaus wichtiger ist, dass wir andererseits auch die Herausforderungen des Alltags teilen und uns gegenseitig helfen.
Für Christen ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber es bekommt im Jerusalemer Alltag immer wieder einen ganz besonderen Glanz, wenn die verschiedenen Konfessionen miteinander beten und feiern: Die Gebetswoche für die Einheit der Christen im Januar beispielsweise wird gemeinsam gestaltet, jeden Abend ist man in einer anderen Kirche oder Kapelle versammelt, betet um die Einheit, begegnet sich hinterher in orientalischer Gastfreundschaft. Zu den hohen Festtagen besuchen sich die Patriarchen und Bischöfe mit ihren Delegationen jeweils wechselseitig, um Segensgrüße zum Fest zu überbringen. – Solche Ereignisse sind bunt, sehr bunt, denn sie bringen letztlich Christen verschiedenster Sprachen und Kulturkreise zusammen.
Eine besondere ökumenische Freundschaft verbindet unsere Klostergemeinschaft mit unserer evangelischen deutschsprachigen Schwestergemeinde, der Evangelischen Gemeinde der Erlöserkirche, die für viele unserer evangelischen Studierenden des Studienjahrs für ihre Jerusalemer Zeit eine kirchliche Heimat ist.
Ökumenischer Alltag in der Dormitio-Abtei bedeutet aber zum Beispiel auch, dass unsere einheimischen Mitarbeiter verschiedenen Konfessionen angehören: lateinisch (also römisch-katholisch), armenisch-orthodox, griechisch-orthodox, koptisch… Hinzu kommen im Sinne der „Großen Ökumene“ auch jüdische und muslimische Mitarbeiter.
Darüber reden
Neben dem Austausch, der im Alltag, den wir in der Heiligen Stadt miteinander teilen, ganz selbstverständlich stattfindet, ist der geistliche und wissenschaftliche Dialog unter den Christen und zwischen den Christen und den Angehörigen anderer Religionen eine entscheidende Säule des ökumenischen beziehungsweise interreligiösen Dialogs.
Religionen erheben oft einen strengen Wahrheitsanspruch. Das gehört durchaus zu ihrem Selbstverständnis. Besonders gilt das vielleicht für die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Es gibt nur wenige Stellen auf der Erde, an der diese drei „Kinder Abrahams“ so eindringlich aufeinander treffen, wie in der dreimal heiligen Stadt Jerusalem (Shalom Ben-Chorin). Und gerade hier ist das Gespräch zwischen den Religionen und Konfessionen deshalb so wichtig und spannend – und so schwierig.
Zahlreiche Institutionen und Vereinigungen engagieren sich im interkonfessionellen und interreligiösen Gespräch. Das trifft natürlich auch auf unser Theologisches Studienjahr und das Jerusalemer Institut der Görres-Gesellschaft zu. Darüber hinaus nehmen Brüder unserer Gemeinschaft aber auch an weiteren Gesprächskreisen und Aktivitäten im ökumenischen Bereich teil, z.B. an den Vorträgen und Diskussionen, die die Ecumenical Theological Research Fraternity in Israel (ETRFI) anbietet und die sich neben dem innerchristlichen Gespräch vor allem um die Begegnung zwischen Christentum und Judentum bemühen.
Ökumenisch studieren
Studienjahr auf Exkursion
Für viele Theologiestudierende in Europa gehört schon das Miteinander evangelischer und katholischer Fakultäten keineswegs zu ihrem Studienalltag.
Wenn dann aber die Beschäftigung mit den anderen christlichen Konfessionen nicht nur im Hörsaal, sondern im Alltag eines gemeinsamen Studierens und Wohnens geschieht, und darüber hinaus auch im praktischen Kennenlernen orientalischer und orthodoxer Theologen und Kirchenvertreter und im Miterleben ihrer Liturgien und Gottesdienste – dann wird Kirche noch einmal ganz anders lebendig: Das Studienjahr an unserer Abtei bietet diese Möglichkeit.
Im akademischen Programm unseres Studienjahres haben Veranstaltungen zu verschiedenen Themen ökumenischer Theologie seit jeher einen festen Platz. Sie sollen helfen, das im Alltag Erlebte, intellektuell tiefer zu durchdringen und so für das eigene theologische Leben und Denken fruchtbar zu machen – auch und gerade nach der Rückkehr nach Hause. Ebenso gibt es im Laufe eines jeden Studienjahres verschiedene Veranstaltungen, die den interreligiösen Dialog mit Judentum und Islam zum Thema machen. Diese werden oft von jüdischen, christlichen und islamischen Theologen in Kooperation durchgeführt. Ein besonderes Highlight jedes Studienjahres ist die christlich-muslimische Werkwoche, bei der sich unsere Studierenden gemeinsam mit muslimischen Studierenden aus dem deutschsprachigen Raum ein Thema des Dialogs zwischen Christentum und Islam erarbeiten.
Studienjahr