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Im Tau herab, o Heiland, fließ!

18. Dezember 2022

„Rorate, caeli, desuper, et nubes pluant iustum. – Tauet, ihr Himmel, von oben! Ihr Wolken, regnet herab den Gerechten! … während der wöchentlichen Rorate-Messe haben wir diesen flehenden Ruf, der den Marienmessen im Advent ihren Namen gegeben hat, immer wieder gesungen. Auf das engste ist dieser flehentliche Ruf, der aus dem Jesaja-Buch stammt, mit dem Advent verbunden. Ohnehin ist diese Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest hin in der Liturgie auffallend reich von Imperativen geprägt. Unsere schönen Adventslieder legen davon Zeugnis ab: ‚Macht hoch die Tür‘, ‚Wachet auf‘, ‚Kündet, allen in der Not‘, oder an Gott gerichtet, ‚O komm, o komm, Emmanuel‘, ‚Komm, du Heiland aller Welt‘, und nicht zuletzt: ‚Freut euch ihr Christen‘, ‚Tochter Zion, freue dich‘. An diesem 4. Adventssonntag, dem letzten Sonntag vor Weihnachten, wird nun dieses imperative ‚Rorate‘, dieses „Tauet“, als Eingangsvers gesungen. Es steht gleich einer Überschrift über diesem Sonntag. Auf den letzten Metern vor dem Weihnachtsfest verdichtet sich hier das Drängen und Flehen: Der Himmel wird bestürmt. Nun wird es in der Tat Zeit, dass der Heiland endlich kommt.

Doch, wer singt da eigentlich? Wer will denn da so flehentlich, dass die Himmel aufbrechen und der Heiland ‚herabließt‘, wie wir es heute zu Beginn der Heiligen Messe auf dem Zion mit dem Lied ‚O Heiland, reiß die Himmel auf‘, das 1622 und somit vor genau 400 Jahren von Friedrich Spee gedichtet wurde, gesungen haben? – mit den Worten dieser idealen Verdeutschung des ‚Rorate‘: ‚O Gott, ein Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ?‘ Beim genauen Hinsehen besteht dieses so beliebte Adventslied von Friedrich Spee aus nichts anderem als aneinandergereihten Jesaja-Zitaten. Die ganze Welt des Liedes dreht sich um alttestamentliche Textstellen, die kunstvoll und mit viel Sprachgeschick zu einem flehenden Band verknüpft wurden. Es handelt sich sozusagen um ein gesungenes Jesaja-Buch. – Aber gerade deswegen ist dieses Lied ein ausgesprochen merkwürdiges Adventslied: Denn hier lässt ein Christ uns Christen singen, als ob es Christus selbst gar nicht gegeben hätte! Dass sich im Advent vor 400 Jahren, in dem das Lied zum ersten Mal gesungen wurde, das Erscheinen Christi in Menschengestalt schon vor vielen Jahrhunderten zugetragen hat, wird mit keiner Silbe erwähnt. Christus wird nicht genannt. Die Charakterisierung der bedrückenden Gottferne in den Motiven des verbarrikadierten Himmels, der Dürre und der Unfruchtbarkeit der Erde, der Trostlosigkeit, Finsternis und Heimatlosigkeit wird bis ins kleinste Detail aus der alttestamentlichen Perspektive geschildert. – Ein Hinweis auf eine schon erfolgte Geburt des Erlösers oder die Erfüllung der Verheißungen kommen nicht in den Blick.

Und doch sind da die ersten drei Strophen des Liedes, die umfassendes Heil ausdrücken: Von oben kommen soll der Heiland und zugleich, von unten, aus der Erde ‚springen‘. Die Bedingungen für das Herabsteigen des Heilands in Regen und Tau werden genannt: Das Abreißen von ‚Tor und Tür‘, von ‚Schloss und Riegel‘! Was der regenspendende Himmel und der morgendliche Tau bewirken, wird besonders jetzt in dieser Zeit, hier im Heiligen Land, sichtbar: Wie wenig Tau braucht es, damit die Wüste zu blühen beginnt!

Doch die letzten drei Strophen des Liedes stehen mit der unheilvollen Beschreibung der Gegenwart in jähen Kontrast zu den ersten drei Strophen. Nun ist von ‚Jammertal‘, ‚Finsternis‘ und ‚größter Not‘ die Rede. Das Verlangen nach dem Erscheinen des göttlichen Erlösers wird existenziell: ‚vor Augen steht der ewig Tod‘. Und in letzter Konsequenz wird die unheilvolle Welt mit dem Exil Israels verbunden: ‚Ach komm, führ uns mit starker Hand, vom Elend zu dem Vaterland!‘

Nochmals sei die Frage aufgeworfen: Wer singt diese Worte eigentlich? Die Singenden, also wir, stellen uns in eine Linie mit Jesaja; wir werden zu seinen Zeitgenossen! Und wenn wir ehrlich sind: ‚Leid‘, ‚Elend‘ und ‚Jammertal‘ sind auch heute eine Realität für Christinnen und Christen – selbst am Weihnachtsfest herrscht für viele ‚größte Not‘. Die alttestamentlichen Verheißungen sind nicht einfach erfüllt worden durch die Geburt Christi, sondern haben als Verheißungen weiterhin volle Gültigkeit! Nicht zuletzt sind es Bitten um das Heil am Ende der Zeiten! – Daher flehen wir auch heute noch angesichts einer Welt, die schon friedlichere Weihnachten erlebt hat, um den kleinen Frieden – dort wo der Heiland den Himmel aufreißen kann. Das kann im eigenen Herzen sein, das dürr, gleichgültig und antriebslos geworden ist und für die adventliche Botschaft vertrocknet – ‚o Gott, ein Tau vom Himmel gieß‘. Das kann in Zusammenleben sein, wo ‚Schloss und Riegel‘ der Abneigung, des bösen Blicks, der Lästereien, aufgebrochen werden müssten. Wir bitten darum, dass sich an diesem Weihnachtsfest wieder ‚Himmel und Erde‘ berühren. - Rorate, caeli, desuper, et nubes pluant iustum.“

Pater Simeon und alle Brüder in Jerusalem und Tabgha wünschen Euch einen gesegneten 4. Advent!

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