Denn ER ist gekommen, um uns zu retten
11. März 2018
Predigt von Pater Basilius am Vierten Sonntag der Fastenzeit, Sonntag Laetare in der Brotvermehrungskirche in Tabgha (11. März 2018)
Liebe Schwestern und Brüder,
vielleicht waren Sie schon einmal im Gericht. Als Zeuge vielleicht, oder als Zuschauer. Zumindest aus Film und Fernsehen kennen die meisten von uns Gerichte. – Im kontintal-europäischen System mit Richter und Schöffen, Staatsanwalt, Anwälten der beteiligten Parteien, Zeugen; im angelsächsisch-amerikanischen System mit einer Jury. Es geht jeweils um die Findung der Wahrheit, es geht darum, Recht zu sprechen und Gerechtigkeit herzustellen auf die eine oder andere Weise. Am Ende steht ein Urteil: eine Verurteilung mit einem Strafmaß oder ein Freispruch. Es wird geurteilt, verurteilt.
Von der Lust und der Last des Urteilens
Das liegt ein bisschen in uns Menschen drin: Ständig und in all unseren Lebensvollzügen beurteilen wir, verurteilen wir, vor-verurteilen wir. Natürlich, um uns in unseren Gesellschaften und Kontexten orientieren zu können, müssen wir bewerten und beurteilen: in Fragen der Erziehung, im Straßenverkehr, in unseren beruflichen und finanziellen Fragen: Wir müssen uns immer wieder entscheiden und entsprechende Konsequenzen ziehen.
Dabei wird die Basis unserer Entscheidungen, Bewertungen und Urteile immer breiter. Denn in unserer vernetzten und digitalisierten Welt wird die Menge der Informationen immer größer und größer: richtige Informationen und Nachrichten, Fakenews und populistische Propaganda, Selfies von unseren Reisen und aus dem Badezimmer, Persönliches und Sensibles, Banales und Hochbrisantes. – Wir lesen und sehen, wir drücken „Gefällt mir“ und teilen Beiträge. Für alles Mögliche und Unmögliche gibt es Umfragen und Rankings, Toplisten und Jurys.
Vom Bundeskanzler bis zu den Aktien, von den Top-Unis bis zu den Musik-Stars von morgen: Man könnte annehmen, wir hätten das beste Werkzeug in unseren Händen und Köpfen, damit wir die Welt beurteilen und die richtigen Entscheidungen treffen können, um dann auch die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Könnte man meinen.
Nicht Gericht, sondern Rettung
Gott macht dieses Spiel zumindest nicht mit. Nicht um die Welt zu richten, hat er seinen Sohn in die Welt gesandt, sondern um die Welt zu retten. – Was heißt das?
Gibt es nicht eine Fülle von Gerichtsbildern in der Bibel, gerade auch im Neuen Testament? Wenn der Menschensohn am Ende der Tage kommen wird, wenn Schafe und Böcke voneinander getrennt werden sollen, wenn der Höchste selbst über Allen und Allem Platz nehmen wird, um zu richten…
Ja, diese Bilder gibt es natürlich. Und gerade in ihrer Bildkraft wurden sie auch immer wieder missbraucht, um den Gläubigen Angst zu machen, um Macht auszuüben. Keineswegs immer um Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit zu wahren, sondern um zu kontrollieren. – Wer von uns hat nicht erst einmal Angst und erschrickt, wenn er einen Brief vom Gericht bekommt?
Ohne den Bildern eines endzeitlichen Gerichtes irgendetwas zu nehmen, erinnert uns unser heutiges Evangelium aber daran, dass diese Form irdischer Gerichtsbarkeit nicht der Weg des Gerichtes Gottes ist. Warum? Was stattdessen?
Da ist zunächst einmal der Kontext unserer Verse aus dem Johannes-Evangelium, die wir vorhin gehört haben: Sie stammen nicht aus einer Rede vor vielen Zuhörern und auf einem öffentlichen Platz, keine Kameras und Scheinwerfer, kein virales Facebookposting, keine Eilmeldung der Nachrichtenagenturen. – Unsere Verse kommen aus dem Gespräch Jesu mit Nikodemus. In der Nacht. Privat, fast intim. Vertraulich.
Und wir lernen, da, wo es um Gottes Gerechtigkeit geht, da geht es um das Persönliche. Da geht es um IHN, Gott, und mich. Im vertraulichen Zwiegespräch. Diskret. Persönlich. Hochrespektvoll.
Und Jesus erklärt uns, warum ER, der Gottes- und Menschensohn nicht gekommen ist, um zu richten: Denn wir selbst richten uns ja schon zu genüge. Beurteilen uns, verurteilen uns, vor-verurteilen uns. Aber noch mehr: Würden wir dabei auch wirklich und ernsthaft die Maßstäbe Gottes anlegen: Wir alle würden jeden dieser Prozesse verlieren, müssten verurteilt werden. Denn wir sind Menschen. „Nur“ Menschen. Die großen und kleinen Sünden, gegen Gott, unseren Nächsten, uns selbst – sie liegen in uns. Wir können versuchen, uns zu bessern. Aber weil wir freie und zugleich schwache Geschöpfe sind, werden wir immer wieder im Kleinen oder im Große straucheln, stolpern und fallen. Wir verurteilen uns selbst, weil es in jedem von uns Dunkelheiten gibt, die wir vor unseren Nächsten verbergen, vor Gott und vermutlich vor allem auch vor uns selbst.
Erhöht, weil ER sich für uns und zu uns erniedrigt
Nicht um zu richten, sondern um zu retten, ist Jesus deshalb gesandt. – Unser Evangelium beginnt mit dem Bild der erhöhten Schlange und spielt so auf den am Kreuz erhöhten Herrn an. Der Blick auf IHN wie auf die Schlange damals in der Wüste bringt Rettung und Leben. Das ist richtig, denn wir gehen ja auch in großen Schritten auf die große jährliche Feier von Leiden, Tod und Auferstehung unseres Herrn zu. Das Kreuz ist uns dann wieder neu Zeichen des Lebens. – Leider schneidet unsere Leseordnung die Verse zuvor ab: Denn das Kreuz ist letztlich nicht ohne die Krippe denkbar, und auch umgekehrt.
Christus wird erhöht am Kreuz. – Und zuvor stieg ER herab, hat sich erniedrigt, teilt unser Leben als Menschen. – Gott weiß um unsere Dunkelheiten, mit den Augen Jesu schaut ER sie an. Auch wenn ER selbst ohne Sünde ist und lebt, so kennt ER sie doch: ER schaut uns an, berührt uns, unsere Lähmungen und Blindheiten, unsere wunden und toten Stellen. ER nimmt all das an, in Liebe, lässt es Teil Seines göttlichen Lebens werden. Deshalb kann das Kreuz für uns auch das Zeichen des Sieges über Sünde und Tod werden, weil Gott selbst unsere Dunkelheiten mit Seinem Licht erfüllen will.
ER geht mit uns jeden, jeden Weg, auch den in die Hölle mit. ER verurteilt nicht und richtet nicht, ER bewertet nicht, ER ver-vorurteilt nicht. Um auf uns zu schauen, braucht ER keine großen Facebook-Seiten und Kameras, sondern die Ruhe und Vertraulichkeit eines freundschaftlichen Gespräches in der Stille und im Frieden der Nacht.
Denn ER ist nicht gekommen, um die Welt, um uns, zu richten, sondern um uns zu retten.
Tabgha als Ort, an dem wir etwas über Rettung lernen können
Liebe Pilgerinnen und Pilger, gerade hier in Tabgha, am Ort der Brotvermehrung können wir mit Händen greifen, was das bedeuten kann: Auch das ist ein Ort, an dem Jesus die Ruhe und den Frieden nicht nur für sich selbst gesucht und gefunden hat. ER hat auch Seine Jünger mitgenommen an diesen einsamen Ort, damit sie sich neu ausrichten können, damit sie neu Seine Nähe und Freundschaft erfahren dürfen.
Alleine, es kamen auch die 5000. – Und auch ihnen wendet sich Jesus zu, ihren Dunkelheiten an Leib und Seele bringt ER Licht, ihren Hunger nach Trost und Heilung schenkt ER Seine Liebe und Seine Barmherzigkeit in Worten und Heilungen.
Kein Gericht, keine Verurteilung. – Mehr noch, am Ende des Tages sind nur fünf Brote und zwei Fische da. Was ist das für so viele? Menschliche Bewertungen und Maßstäbe versagen einmal mehr. Auch bei unserem besten Willen, es reicht eben nicht wirklich, was wir in den Händen halten. Das Urteil scheint klar: Schick die Leute weg. Es geht nicht.
Doch es geht nicht um unser Urteil, es geht um Gottes Liebe. – Ja, wir halten nur wenig in unseren Händen, ein bisschen Brot, ein bisschen Fisch. Ein bisschen Liebe, ein bisschen Zeit, ein bisschen Nähe und Zuhören, ein bisschen Fähigkeit zur Vergebung, ein bisschen Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung… Halten wir unser Bisschen Gott hin, mit offenen und freundschaftlichen Händen. Seine Liebe und Sein Licht werden es annehmen. Teilen. Mehr und genug werden lassen.
Denn ER ist nicht gekommen, um uns zu richten, sondern um uns zu retten.
Jeden von uns.