Was Gott verbunden hat...
07. Oktober 2018
Predigt von Pater Basilius am 27. Sonntag im Jahreskreis, 7. Oktober 2018, an Dalmanutha/Tabgha
Sonntag des 27. Sonntags im Jahreskreis: Markus 10,2-16
„Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“, (Mk 10,9). Eine klare Ansage, die bis heute die Aussagen der Kirche über Beziehungen und Ehe prägt. – Nicht weniger fundamental: „Lasst die Kinder: Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich“, (Mk 10,14). Eine der Standardlesungen bei der Kindertaufe.
Die Texte sprechen also erstmal für sich. Man müsste gar nicht viel dazu sagen.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht: Kinder sind nicht immer die schutzbedürftigen und dankbaren Engel, offen für das Himmelreich. Und Beziehungen und Ehen können scheitern und brechen, aus verschiedenen Gründen.
Dass dann das, was die Kirche in Dogmatik und Kirchenrecht dazu sagt, nicht mehr viel mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun hat, haben uns die deutschen Bischöfe in diesem Jahr deutlich und tragisch vor Augen geführt, als sie über die Zulassung Wiederverheiratet-Geschiedener zur Kommunion gestritten haben.
Es scheint, als wären diese Modelle von Partnerschaft und Kindern nicht mehr kompatibel mit unserer Zeit, als wären die rigiden und klaren moralischen Vorgaben unseres heutigen Evangeliums weltfremd.
Zweifelsohne hatte die Unauflöslichkeit der Ehe in früheren Zeiten einen höheren, auch existentiellen Stellenwert als heute. Alleinerziehende hatten es nicht nur menschlich schwer, auch wirtschaftlich und sozial war es kaum denkbar. Die Familie musste halten, so oder so. Zumindest an der Oberfläche.
Gleichzeitig kennen wir heute verschiedene Formen von Partnerschaften und Familienstrukturen mit verschiedenen Geschichten. Auch wenn die Kirche sich damit oft schwertut, auch solche alternativen Familien können Menschen das geben, was auch eine scheinbar ideale Familie und Partnerschaft geben kann: Stabilität und Sicherheit, Verantwortung und Fürsorge, Vertrauen und Liebe.
Muss also, wer die Worte Jesu, nicht ganz streng und wörtlich versteht, nicht verstehen kann, diese Worte beschämt in die Ecke stellen? Sie als nicht lebbar und unrealistisch abtun? – Ich glaube nicht.
Versuchen wir einen andere Perspektive auf diesen Textabschnitt aus dem Markusevangelium, und lassen wir die Kinder aus den letzten Versen des Evangeliums zu uns kommen.
Darunter sind vielleicht auch solche Kinder, die es nach offizieller Lesart und Lehre gar nicht geben dürfte: Scheidungskinder, Kinder aus zerbrochenen Ehen und Familien. Auch wenn man es nicht verallgemeinern kann und sagen darf, dass das alles Problemkinder sind, die Trennung der Eltern prägt in jedem Fall nachhaltig das Leben der Kinder. Besonders dann, wenn es Streit um das Sorgerecht gibt, und die Kinder zum Spielball und Ersatzkonfliktfeld der Erwachsenen werden.
Und hier lohnt der Blick zurück, in die Geschichte dieser Kinder. Denn Kinder sind ein Geschenk der Liebe, Frucht gegenseitiger Hingabe. Leben. Neues Leben, entstanden aus dem Leben von Zweien, die ganz füreinander und miteinander da sind. Und das ist nicht nur ein Bild des dreieinen und dreifaltigen Gottes: Beziehung, Hingeordnet-Sein, Ausgerichtet-Sein, neues Leben aus Leben.
Eine Trennung bedeutet in dieser Sicht auch Zerstörung. Das gegenseitige Geschenk wird irgendwie zurückgenommen. Leben wird entleert. Vor allem dort, wo es zu streitvollen Trennungen kommt, gibt es Brüche und Risse.
Was einst als Leben aus unserem Leben zwischen uns war, was uns verbunden hat, das wird nun zum tragischen und schmerzhaften Bild für unser Scheitern. – Und die Aussage, dass der Mensch das, was Gott verbunden hat, nicht trennen darf, klingt vielleicht auf einmal ganz anders.
Ich denke, dass wir noch einen Schritt weiter gehen können: Denn was hier für Partnerschaft, Ehe und Familie im ganz engen Sinne gesagt wird, das gilt auch für weitere Bereiche unseres Lebens. Zuvorderst vielleicht für alle anderen zwischenmenschlichen Beziehungen: in unseren Freundschaften, in unseren Klostergemeinschaften, in unseren Gemeinden und Vereinen, sogar in unseren Firmen und Arbeitskontexten. – Und damit gilt es dann auch, und nicht nur im übertragenen Sinne, für all unsere Lebenswirklichkeiten und Lebensentwürfe: Alle Beziehungszusammenhänge, in die wir uns hineingeben, seien sie beruflicher oder sozialer, familiärer oder intimer Art, bringen auf je ihre Weise neues Leben hervor, sind gewissermaßen fruchtbar, haben ihre Kinder.
Im Falle von Trennungen und Streit, von Aggressionen und Enttäuschungen, von Misstrauen und Erkalten geht dieses Leben zurück, werden Geschenke leer und bedeutungslos, Erfahrungen erstarren und vertrocknen, Dreck und Staub legen sich über das, was uns vielleicht einmal golden und wertvoll, wichtig und lieb war.
Wahrscheinlich machen die meisten von uns im Laufe der Zeit solche fundamentalen Lebenserfahrungen von Brüchen und Scheitern in Lebensentwürfen und Partnerschaften.
Jesus nimmt die Kinder in seine Arme, lässt sie nicht von den Erwachsenen und ihrer Erfahrung abschirmen und isolieren. Er nimmt diese Kinder an und Er nimmt sie ernst. Mit dieser Geste macht Er uns vor, dass auch wir die – durchaus symbolischen – Kinder unserer Lebensentwürfe und Partnerschaften immer an uns heranlassen sollen.
Trennungen und Risse gehören zu unserem Leben, ebenso wie das Scheitern von Träumen und Plänen. Da hilft auch kein religiöser Kleister. Unsere Konflikte und Trennungen sind oft von Argumenten und Reaktionen, von Reden und Aktivismus geprägt. Jesus hingegen öffnet schlicht die Arme und nimmt an: Leben zulassen und segnen, es gutheißen, dankbar und achtsam, treu und verlässlich, hoffend und liebend. – So kann das Himmelreich wachsen.
Mit dem heutigen Evangelium dürfen wir uns fragen lassen, ob wir bereit sind zu lernen und zu erkennen, dass Gott in allem Seine Spuren hinterlässt, dass Er in unserem Leben in vielfältiger Weise zusammenfügt, dass ER verbindet und neues Leben schenkt.
„Nicht trennen“, bedeutet dann gerade nicht, auf Biegen und Brechen an etwas festzuhalten, was womöglich Leiden und Wunden verursacht. Sondern es bedeutet vielmehr, das Segensreiche und Gesegnete, das Gegebene und das Empfangene zu sehen und zu bewahren, sich davon eben nicht zu trennen, es nicht mit all dem Schutt und den Trümmern einer gebrochenen Beziehung wegzuschütten.
Es bedeutet, in unserem Leben, in unseren Familien und Gemeinschaften, in unserer Kirche vielleicht auch Veränderungen zuzulassen, ohne zugleich das, was gewesen war, zu verurteilen und geringzuschätzen.
Es bedeutet, die Arme zu öffnen, damit die Kinder dieser Welt und unseres Lebens einen Platz bei uns haben. Denn ihnen gehört das Himmelreich.
(Zum Bild: „Was aber Gott verbunden hat“ / 50×70 cm / Acryl auf Leinwand / Basilius Schiel OSB, 2018)