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"Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

01. Mai 2009

Predigten von P. Basilius Schiel OSB zum 40stündigen Gebet in St. Magdalenen, Hildesheim, am 26. und 27.2.2004

Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!

(Aus der Stundenliturgie der Fastenzeit der Benediktinerabtei Dormitio, Jerusalem)

Teil I

Zwei Männer, schon in gesetztem Alter, stehen sich gegenüber, der eine reicht dem anderen Brot und Wein und segnet ihn im Namen seines Gottes. Der eine: Melchisedek, König von Salem und Priester des höchsten Gottes, der andere: Abraham. Der eine Urbild des Priesters:

"Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks!"

heißt es in Psalm 110. Der andere gilt Juden, Christen und Muslime als Vater des Glaubens.

Einige hundert Jahre später: Zimbel- und Harfenklänge, eine feierliche Prozession zieht einen an sich unscheinbaren Hügel im Bergland von Judäa hinauf. An der Spitze hüpft und tanzt ein junger Mann. - König David bringt die Bundeslade in einen provisorischen Tempel.
Bislang war die Truhe, die die Tafeln mit den Zehn Geboten barg, stets auf der Wanderschaft, immer im Zelt unterwegs. Nun ist der Berg Zion ihr fester Sitz:

"Gott gab sich zu erkennen in Juda, sein Name ist groß in Israel. Sein Zelt erstand in Salem, seine Wohnung auf dem Zion",

sagt Psalm 76, und Psalm 132 setzt fort:

"Denn der Herr hat den Zion erwählt, ihn zu seinem Wohnsitz erkoren."

Wieder einige hundert Jahre später: Der prächtige Tempel, den König Salomo für die Bundeslade gebaut hatte, ist zerstört, das Land steht unter fremder Besatzung, die Oberschicht ist deportiert. Psalm 137 ist ein Spiegel der Seele der Geschundenen und Verschleppten:

"An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten… Dort verlangten von uns die Zwingherren Lieder, unsere Peiniger forderten Jubel: 'Singt uns Lieder vom Zion!' - Wie könnten wir singen die Lieder des Herrn, fern, auf fremder Erde? Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe."

Noch einmal einige hundert Jahre später: Drei Gelehrte kommen nach Jerusalem, weil sie dort den neugeborenen König vermuten. Aber nicht in der Tempel- und Königsstadt ist er geboren, sondern in dem kleinen Hirtendorf Betlehem, vier Stunden Fußweg südlich vor Jerusalems Stadttoren.

Etwa 30 Jahre später: Eine gereifte, aber gebrochene Frau sitzt in einem Garten am Stadtrand Jerusalems und weint. Sie weint um einen teuren Freund, der einen brutalen und schmachvollen Tod gestorben ist und dessen Leichnam nun aus seinem Grab verschwunden ist. In ihrer Trauer und ihrem Schmerz erkennt sie Ihn zunächst nicht, als Er hinter ihr steht. Aber als Er sie beim Namen nennt, "Maria", ist es für sie wie eine neue Geburt, und Maria Magdalena wird die erste Zeugin der Auferstehung Jesu Christi von den Toten, sie wird Zeugin für das neue Leben in Gott. Diese Frohe Botschaft verbreitet sich in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde (vgl. Apg 1,8).

Kriege ziehen weiterhin über die Stadt hinweg, sie wird erobert, zerstört, der Tempel geht in Flammen auf; sie wird neu gegründet unter einem anderen Namen und versinkt in den Schatten der Weltgeschichte… Als das Christentum Staatsreligion im Römischen Reich wird kommt sie zu neuer Blüte, wird später von den muslimischen Eroberungsheeren eingenommen, von den Kreuzfahrern blutig zurück gewonnen und schließlich wieder verloren.

Immer wieder wurde diese Stadt umkämpft, kaum ein Flecken der Erde ist von mehr Schutt- und Brandschichten bedeckt, kaum einer mehr vom Blut Schuldiger und Unschuldiger durchtränkt wie Jerusalem, bis heute, bis in diese Stunde, in der wir uns hier versammelt haben. - Im Namen Gottes wurde in dieser Stadt gemordet und geopfert, Blut vergossen und Existenzen ganzer Familien ausgelöscht. Im Namen Gottes, des Gottes der Juden, des Gottes der Muslime, des Gottes der Christen. Und im Namen Gottes werfen sich seit Jahrtausenden Menschen in Jerusalem auf die Erde und beten und flehen zu ihrem Gott, auch heute noch.

Einige der Steine Jerusalems glänzen rot wie das Blut, das über sie geflossen ist. Im Sonnenauf- oder untergang leuchtet die ganze Stadt golden wie die kostbaren Gefäße, mit denen irdische und himmlische Liturgien gefeiert werden. Im hellen Sonnenschein der Sommertage blenden die Steine Jerusalem so stark, dass man die Augen schließen muss, beinahe so wie das Antlitz Gottes selbst.

Jerusalem.

Die Heilige Stadt.

Die so un-heilige Stadt.

"Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Mit diesem Vers, der sich an Vers 2 im 14. Kapitel des Propheten Hosea anlehnt, beschließen wir Benediktinermönche in Jerusalem unsere Gebetszeiten in der Fastenzeit.

"Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Wir brauchen nicht viel Phantasie, um den Vers in diesen Tagen mit Leben zu füllen. Ich stehe hier als Mönch aus Jerusalem vor Ihnen, liebe Schwestern und Brüder. An welche Umkehr denken wir wohl zuerst, Sie und auch ich?

Ja, auch heute noch wird im Heiligen Land von allen Beteiligten Unrecht im Namen Gottes getan. Da hat der Ruf nach Umkehr hat gewiss seine ganz konkreten und berechtigten Anknüpfungspunkte:

"Kehr um, Israel, zum Herrn, deinem Gott! Denn du bist zu Fall gekommen durch deine Schuld",

so lautet der Vers aus dem Buch des Propheten Hosea (Hos 14,2). Und es würde uns gut anstehen, in diesem Sinne für das Heilige Land und für den Frieden in Israel und Palästina und auf der ganzen Welt zu beten.

Das war übrigens einer der - wie sagt man in modernem Polit-Deutsch? - einer nachhaltigsten Sätze, mit denen ich in Jerusalem konfrontiert worden bin; einer der Sätze also, die mich bis heute begleiten, der immer noch seine Wirkung zeigt und der sich von immer wieder neuen Seiten präsentiert: "Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben hier als Mönche auf dem Zion," so sagte mein Abt in unserem ersten Gespräch zu mir, "es ist hier eine unserer wichtigsten Aufgaben, für den Frieden zu beten."

Messen kann man den Erfolg dieses Gebets sicherlich nicht, zumal nicht in den zweieinhalb Jahren, die ich nun zu unserer Gemeinschaft auf dem Zion und in Tabgha gehöre, denn in dieser Zeit hat sich die Situation ja weltweit eher noch verschärft. Aber eines habe ich in dieser kurzen Zeit gelernt: Es geht nicht nur einen politisch-militärischen Frieden, sozusagen das Nicht-Sein von Krieg. Es geht um mehr und es geht um grundsätzlicheres. Und in diesem Licht beginnt der Satz, der über den beiden Predigten von heute und morgen steht, wieder ganz neu zu leuchten:

"Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Liebe Schwestern und Brüder, dieser Satz ist im letzten eine Beziehungsaussage zwischen Gott und jedem einzelnen Menschen, wie sie tiefer kaum formuliert werden kann. In Jerusalem spiegelt sich nämlich nicht nur die Geschichte dieses Landstriches im Vorderen Orient oder gar die Geschichte der Menschheit insgesamt. - Jerusalem ist im Letzten ein Spiegel unserer eigenen Seele.

So wie damals Melchisedek Abraham entgegentrat, ihm Brot und Wein reichte und ihn segnete, so reicht auch uns der Herr heute noch Brot und Wein und spricht uns den Segen zu. So wie die Bundeslade mit den Geboten des Bundes vom Sinai im Tempel aufgestellt wurde und Gott mitten in Seinem Volk gleichsam einen Wohnsitz bezog, so will Er auch in unserem Herzen wohnen. Und wie oft zieht Er aus unserem Herzen wieder aus? Oder besser: Wie oft glauben wir, Er sei nicht mehr mit uns, Er habe uns verlassen? Kennen wir diese Sehnsucht, wie sie aus Psalm 137 spricht:

"Wenn ich dich je vergesse, dann soll mir die rechte Hand verdorren!"?

Wie oft sind wir auf der Suche nach dem Friedenskönig und suchen Ihn vielleicht doch an der falschen Stelle? Wie oft stehen wir dabei, wenn Er gekreuzigt wird? Teilnahmslos vielleicht, vielleicht aber auch mit dem Ruf "Ans Kreuz mit ihm!" auf den Lippen, vielleicht laufen wir auch weg… Wie oft sitzen wir an Gräbern, an leeren Gräbern und beweinen vielleicht doch nur uns selbst? - Und doch sind wir berufen Zeugen der Auferstehung und des Lebens zu sein, mitten in einer Welt, in der immer noch Kriege im Namen Gottes geführt werden…

Schwestern und Brüder, das heißt nichts anderes, als dass wir zur Heiligkeit berufen sind, so wie Jerusalem zur Heiligkeit berufen ist. Und dabei ist dieses Heilig-Sein kein Privileg einiger weniger, von Priestern oder Ordensfrauen, es geht Jeden und Jede an! Ganz konkret, so wie Jerusalem eine ganz konkrete Stadt mit Häusern und Straßen, mit Plätzen und Mauern, mit Kirchen, Synagogen und Moscheen ist. Heilig sein heißt, etwas vereinfacht: Anders sein als die Welt: Nicht nach den Gesetzen dieser Welt leben und handeln, sondern nach denen Gottes, denn die hat Er uns ins Herz gelegt. Dafür stehen Brot und Wein in der Eucharistiefeier, dafür steht die Eucharistie selbst, die heute schon den ganzen Tag im Zentrum des Gebets hier in St. Magdalenen stand. Dafür steht Maria Magdalena, die Patronin dieser Kirche, die heilige Sünderin, die ein solch intimes Verhältnis zu ihrem und unserem Herrn hat, wie sonst keine der biblischen Figuren.

Heilig sein, das ist kein Geschenk, das der eine bekommt und der andere nicht, so wie der eine blond, der andere schwarzhaarig ist. Heilig sein heißt: heilig werden. So wie Jerusalem um diese Heiligkeit ringt, so sollen auch wir darum ringen:

"Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Das ist eine flehende, eine bittende, eine einladende Liebeserklärung Gottes an seine Heilige Stadt. Durch die ganze Heilige Schrift zieht sich wie ein Roter Faden das Bild von Israel bzw. Jerusalem und Zion als Braut durch, um die Gott wie ein Bräutigam immer wieder wirbt und von der Er sich auch immer wieder verraten und hintergangen fühlt. Aber Er verlässt Seine Geliebte, Seine Heilige Stadt nicht. Und Er verlässt uns nicht!

"Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

AMEN.

Teil II

Jerusalem ist die Heilige Stadt, ist Gottes Heilige Stadt, zur Heiligkeit berufen. Aber der Blick in die Geschichte zeigt nicht nur, wo und wie Jerusalem heilig war und ist, dieser Blick zeigt auch, dass diese Stadt sehr unheilig war und ist: befleckt von Sünden und Schuld, getränkt vom Blut so vieler Frauen, Männer und Kinder, bedeckt von den Schutt- und Ascheschichten so vieler Kämpfe und Kriege, bis in unsere Tage hinein. Gott aber verlässt Seine geliebte Stadt nicht, Er wirbt um sie wie um eine Braut:

"Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Schwestern und Brüder, in alledem - ich darf an unsere Überlegungen von gestern anknüpfen - in alledem ist Jerusalem ein Spiegel nicht nur der lokalen Geschichte des Vorderen Orients, vielleicht sogar der Menschheitsgeschichte insgesamt, sondern Jerusalem ist ein Spiegel der Seele eines jeden Einzelnen von uns. Denn auch jeder von uns ist wie Jerusalem zur Heiligkeit berufen, und jeder von uns hat seine mehr oder weniger wechselhafte Geschichte mit Gott, so wie Jerusalem.

Und zu dieser Geschichte gehören auch unsere Schuld, unser Versagen, unsere ganz einfachen Beschränkungen und Grenzen.

Gerade die nun begonnene Fastenzeit soll uns ja helfen, an dieser Stelle wieder klar zu sehen, uns vor Gott klar zu sehen, uns von Gott klar ansehen zu lassen. Das Fasten, in welcher Form auch immer, ist ein Schritt auf diesem Prozess des Erkennens und Erkanntwerdens, und es ist ein Beitrag zum Ringen um unsere Heiligkeit, weil es uns aus unserem alltäglichen Leben herausnimmt. Denn die alten Hebräer und auch die alten Römer und Griechen verstanden 'heilig' gerade auch in diesem Sinn: aussondern, herausnehmen - eben aus dem Normalen, dem Profanen. In diesen Kontext gehören auch die Einsiedler in der Wüste oder auf einem Berg. Aber Vorsicht: Nicht schon jeder, der fastet, ist heilig. Sie wissen, dass es besonders in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft eine Fülle von Motiven zum Fasten geben kann, nicht unbedingt die schlechtesten und moralisch verwerfliche Motive, aber mit dem Streben nach Heiligkeit muss das nichts zu tun haben. Und auch nicht jeder, der in die Wüste oder in die Einsamkeit geht, ist ein Heiliger, nur allzu oft verbergen sich dahinter ausgesprochen egoistische Beweggründe.

Aber zurück zum Thema: Die eigenen Grenzen und die eigenen Fehler erkennen, sich von Gott in aller Schwachheit anschauen und erkennen lassen, dazu will uns die Fastenzeit helfen. Aber sie will nicht, dass wir uns dann wie das - entschuldigen Sie - letzte Stück Dreck fühlen uns angesichts unserer Sündhaftigkeit nicht mehr trauen, nach vorne und nach oben zu schauen. Ganz im Gegenteil, sie will uns die Perspektive der Hoffnung und des Lebens neu erkennen lassen. Nicht umsonst bereiten wir uns in dieser Zeit auf Ostern vor, und nicht umsonst werden diese 40 Tage besser mit dem Begriff "Österliche Bußzeit" gekennzeichnet. - Und genau das finde ich in der Überschrift, die ich für die beiden Predigten von gestern und heute gewählt habe, sehr genau getroffen:

"Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!"

Ja, du Jerusalem, ja, du Mensch, du hast allen Grund umzukehren! So viel Schmerzen, so viel Schuld, so viel Schutt und Geröll und Zerstörung! Kehr um! Besinn dich, wer du bist! Wer du sein sollst und sein kannst! Kehr um zum Herrn, deinem Gott! Kehr um zu deinem Herrn, der dich liebt! Ich hätte allen Grund, dich zu verlassen! Wie oft hast du mich betrogen und hintergangen… Hast Götzen geopfert… Hast meine Gebote missachtet…

"Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt." (Lk 13,34)

Selbst meinen Sohn hast du getötet. Aber meine Liebe ist stärker als dein Hass, deine Kriege, dein Tod! Ich will, dass du lebst! Kehr um, Jerusalem, kehr um zum Herrn, deinem Gott!

Und das Schöne und Beruhigende, liebe Schwestern und Brüder, das Schöne und Beruhigende bei diesem Ruf zur Umkehr ist, dass es keine Leistung von uns aus ist, an der wir dann doch ehrlicherweise wieder einmal scheitern würden. Denn gerade auf diesem Weg der Umkehr lässt Gott uns nicht alleine, Er kommt uns entgegen:

In den Klageliedern bittet der Beter innig und flehend:

"Kehre uns, Herr, dir zu, dann können wir uns zu dir bekehren" (Klgl 5,21).

Weil Gott uns hilft, können wir uns Ihm zuwenden, können wir umkehren zu Ihm. Im gleichen Geist heißt es beim Propheten Malachias:

"Kehrt um zu mir, dann kehre ich mich euch zu, spricht der Herr der Heere" (3,7).

Es sind also schon die kleinen Bewegungen der Umkehr, die Gott aufgreift und wo Er uns dann weiterhilft; schon dem einen verlorenen von den 100 Schafen geht Er nach.

Jerusalem, kehr um zum Herrn, deinem Gott! - Liebe Schwestern und Brüder, in diesem Sinne verstanden ist Jerusalem nicht nur ein Spiegel unserer Seele, in diesem Sinne verstanden liegt Jerusalem in unseren Herzen. Denn es geht um den ORT DER ENTSCHEIDUNG:

Für unseren Herrn Jesus Christus war Jerusalem der Ort der Entscheidung. Wäre Er nur predigend und heilend durch Galiläa gezogen, dann wäre Er einer unter vielen geblieben und womöglich längst vergessen. Aber Er hat sich der Entscheidung in Jerusalem gestellt: Wir werden in den kommenden Wochen, vor allem ab Palmsonntag noch einmal alle diese Texte hören: Vom Einzug des Friedenskönigs auf einem Esel in die Stadt; vom König, der Seinen Jüngern wie ein Diener die Füße wäscht; vom Geschenk von Brot und Wein; von Seinem Ringen im Gebet um den Willen des Vaters; von Seinem Leiden und Sterben… und von Seiner Auferstehung. Für uns Christen ein entscheidender Augenblick: Gott hat gleichsam für uns entschieden, dass wir leben. Es ist an uns, diese Entscheidung Gottes nachzuvollziehen, in Freiheit. - Und das nennen wir Umkehr!

Jerusalem ist der Ort der Entscheidung: für Jesus; für uns, auch in unserem Herzen; und für den Frieden. In unserem Herzen fällt die Entscheidung für den Frieden, so wie in Jerusalem die Entscheidung für den Frieden fallen wird. Denn Jerusalem, so hat unser Abt Benedikt einmal gesagt, ist der Ort der Umkehr der Herzen.

Lassen Sie uns noch einmal einen Schnitt machen. Einer der am meisten besuchten Gottesdienste in unserer Abteikirche in Jerusalem ist - fast so wie hier in Deutschland: die Christmette in der Heiligen Nacht. Mit einem Unterschied: Die Mehrheit der Kirchenbesucher sind in unserem Fall in Jerusalem… Juden, junge Israelis, Studenten zumeist. Schon einige Stunden vor der Mitternachtsmesse stehen die ersten vor dem Tor. Im vergangenen Jahr hat auch die Jerusalem Post, eine der großen englischsprachigen Tageszeitungen in Israel, davon berichtet.

Viele der jungen Leute seien v.a. aus kulturellen, weniger aus religiösen Gründen gekommen. Eine junge Frau wurde denn auch mit einem entsprechenden Kommentar in der Zeitung zitiert: "Es war großartig!" sagte sie. "Es brachte mich zurück nach Europa, ins Mittelalter." - Und die Autorin des Artikels fährt in ihrer Reportage fort: "Zusätzlich zum mittelalterlichen Ambiente - ein Gebäude mit steinernen Gewölben, die mit lateinischen Inschriften und Bildern geschmückt sind - waren auch die wunderbaren (wunderbar altmodischen) Traditionen des Gottesdienstes eine Attraktion/ein Erlebnis: Priester schritten in langen weißen Roben umher, Weihrauch füllte die Luft mit einem süß riechenden Duft und Orgelmusik hallte durch die Kapelle."

Uns mag diese Perspektive von außen amüsieren, schlimmsten Falles gar schockieren und befremden. Aber wenn wir bei anderen christlichen Konfessionen zu einem Gottesdienst gehen, v.a. zu den orthodoxen oder altorientalischen Kirchen, oder sogar zu anderen Religionen, zu Juden und Muslimen z.B., dann geht es uns doch nicht viel anders. Und es ist, denke ich, nicht einmal die schlechteste Art mit dem Fremden in Kontakt zu treten.

Und so wird auch ein weitere junge Studentin in diesem Zeitungsartikel zitiert: "Jerusalem ist eine ausgesprochen besondere Stadt. Alle drei Religionen sind hier. Wenn jemand den wahren Geist Jerusalems verstehen will, dann sollte er zu all den Orten gehen, die für die verschiednen Religionen stehen, und er sollte versuchen, sich mit ihnen vertraut zu machen. Das hängt auch mit dem zusammen, was wir Globalisierung nennen: das Interesse an anderen Kulturen."

Das Interesse an den anderen Kulturen, das Interesse am anderen Menschen, an meinem Nächsten, ist aber v.a. dann echt, wenn ich Ich selbst bin, wenn ich einen eigenen, stabilen Stand habe. Und der kann für uns Christen eben nur in Gott gründen.

Der Vers "Jerusalem! Kehr um zum Herrn, deinem Gott!" schillert so nun in verschiedenen Farben: Es geht im Kern um uns selbst, weil Gott uns liebt, so wie Er Seine Heilige Stadt Jerusalem liebt. Wir aber verlassen immer wieder Seine Wege und werden Ihm untreu, so wie Jerusalem. "Kehr um zum Herrn, deinem Gott!" - Komm zurück zu mir. Kehrt um zu mir, dann kehre ich mich euch zu, spricht der Herr der Heere. - Er will sich mit uns versöhnen, immer wieder neu, darum nun diese 40 Tage des Fastens und des Gebets, des Loslassens und Reinigens.

So geschieht nicht nur Versöhnung mit Gott, sondern auch mit uns selbst: Wenn wir unser inneres Jerusalem entdecken mit seinen Blut- und Dreckspuren, mit seiner Gewalt und seinem Hass, aber auch mit seiner Heiligkeit, mit seinem Tempel und seinen Gebeten und mit Gottes Zusage auf unverlierbares Heil, wie es im Ersten Eucharistischen Hochgebet heißt.

Die Versöhnung mit Gott und die Versöhnung mit uns selbst machen uns dann auch bereit für die wahre Versöhnung mit unserem Nächsten, den wir dann ebenso in all seinen Schwächen annehmen können, wie wir uns selbst in unseren Schwächen angenommen haben. Das ist die Keimzelle des Friedens, in unseren Herzen und in Jerusalem.

Wir bereiten uns in diesen 40 Tagen auf den Höhepunkt des Kirchenjahres und die Mitte unseres Glaubens vor: auf Ostern, das Gedächtnis vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus. Er ist am Ostertag in die Mitte Seiner Jünger getreten und hat ihnen den Frieden zugesagt, den Frieden, den die Welt uns nicht geben kann. Mit dieser Botschaft des Friedens und des Lebens hat Er sie ausgesandt, und sie verbreitet sich in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde (vgl. Apg 1,8)…

AMEN.

P. Basilius Schiel OSB