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Und wer bin ich für dich?

23. Juni 2019

Predigt von Pater Basilius am 12. Sonntag im Jahreskreis, 23. Juni 2019, an Dalmanutha

Schrifttexte vom Sonntag

Abendlicht im Kreuzgang des Klosters von Tabgha Abendlicht im Kreuzgang des Klosters von Tabgha

Religionen antworten

Zu den klassischen Bildern und Erscheinungsweisen von Religionen gehört es, dass sie Antworten liefern auf die großen und kleinen Fragen der Menschen, über Leben und Sterben, über Leid und Freude.

Das kann sich bis in literarische Formen niederschlagen: Mein Namenspatron Basilius zum Beispiel hat seine Mönchsregeln in ein Frage-Antwort-Raster gepackt, ähnlich wie die so genannten Apophtegmata Patrum, die Weisungen der Väter, in deren kurzen Texten meistens ein jüngerer Mönch zu einem Wüstenvater kommt, um ihn in einer konkreten Frage um Rat und Antwort zu bitten. Auch die Chassidischen Erzählungen sind oft so aufgebaut.

Der Mensch fragt, die Religion gibt die Antwort.

Gott fragt

Zu den Eigenarten des Biblischen Gottes aber gehört auch, dass Er uns fragt:

Adam, wo bist Du? (Gen 3,9) Kain, wo ist Dein Bruder Abel? Kain, was hast Du getan? (Gen 4,9.10) Was willst Du, dass ich Dir tun soll? (Mk 10,51) Wie viele Brote habt ihr? (Mt 15,34) Frau, wen suchst Du? (Joh 20,15) Petrus, liebst Du mich? Hast Du mich wirklich lieb? (Joh 21,15ff)

Und im heutigen Evangelium eben jene gewichtige Doppelfrage: Für wen halten mich die Leute? Und ihr, für wen haltet ihr mich?

Natürlich kennt Gott, kennt Jesus jeweils die Antworten. – Trotzdem sind diese Fragen mehr als bloße rhetorische Fragen. Denn sie wollen uns anregen und herausfordern, damit wir tiefer einsteigen, damit wir tiefer Gott und auch uns selbst verstehen können, damit wir wirklich wachsen. Diese Fragen können dann wie Regen und Sonne für ein Saatkorn wirken, wenn wir es zulassen.

Aus Fragen leben und Leben zulassen

Fragen zulassen – unsere an Gott und von Gott an uns, das gehört mindestens so wesentlich zu unserem Glauben wie der tröstende Umstand, dass der Glaube uns auch Antworten geben kann.

Aber unsere Zeit scheint Fragen nicht besonders zu lieben. Schnelle und einfache Antworten sind gefragt, vor allem in Gesellschaft und Politik, aber auch in der Kirche. Und mancher holt dann die scheinbar altbewährten Antworten von gestern und vorgestern heraus, um damit auf Fragen von heute zu antworten.

Für wen halten mich die Leute? Und für wen haltet ihr mich? – Diese Doppelfrage Jesu passt, so denke ich, sehr gut in unsere Zeit.

Einiges ist in Bewegung, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche. Wir ahnen, dass wir womöglich vor großen Veränderungen stehen. Die einen wollen solche Veränderungen herbeiführen, durch Erklärungen oder durch Demonstrationen oder durch Gespräche, Diskussionen und Synoden. Andere haben wiederum genau davor Angst oder halten solche Wege für grundfalsch.

Und beide berufen sich auf Jesus.

Das kann verwirren und verstören. Denn man spürt durchaus, dass Jesus da von der einen oder anderen Seite schlicht instrumentalisiert wird, um damit die eigene Position zu rechtfertigen. Auch wenn das sicher nicht ganz unbegründet geschieht.

Aber gerade, wenn ich so manchen der selbst ernannten Bewahrer von Glauben und Tradition höre, die ja auch gerne gegen den berühmten Zeitgeist wettern, dann frage ich mich, von welchem Geist solche Zeitgenossen wirklich getrieben werden. Natürlich wendet sich Jesus auch gegen den Zeitgeist, wenn Er zum Beispiel die Händler aus dem Tempel wirft und wenn Er sich weigert, die Ehebrecherin publikumswirksam zu verurteilen. Aber daraus abzuleiten, dass der Zeitgeist grundsätzlich ein Un-Geist ist, halte ich für zu kurz gegriffen.

Hätte Jesus diesen „Zeitgeist“ ausrotten wollen, hätte Er es nicht einfach getan? Liefert Er sich nicht letztlich sogar dem Zeitgeist gleichsam aus, lässt sich vom ihm ans Kreuz heften und in den Tod werfen? Und entsteht nicht gerade daraus wieder neues und wahres Leben, vom Geist Gottes erfüllt? Wir haben erst vor zwei Wochen Pfingsten gefeiert…

So mancher, der vorgibt, die Wahrheit mit großen Löffeln gefuttert zu haben, spuckt in seinen Äußerungen allzu oft eher sein eigenes aufgeblasenes und letztlich kleingeistiges Ego in die Landschaft.

Mit Jesus und Seinen Fragen wieder (neu) auf dem Weg

Ich würde mir in den Gesprächen und Diskussionen der Kirche wünschen, dass wir nochmal ein paar Schritt zurückgehen. Dass wir uns mit unserem heutigen Evangelium mit Jesus und den Jüngern auf die Wege machen. Dass wir uns immer, immer, immer wieder neu von Ihm fragen lassen: Und ihr, wer bin ich für euch?

Die Antwort des Petrus ist dabei richtig: Der Christus Gottes. Der Gesalbte. Der Messias. Der Erlöser. – Diese Antwort ist zeitlos, sie gilt auch heute. Und sie gilt für jeden, der sich Christ nennt. Denn er oder sie nennt sich ja nicht ohne Grund Christ oder Christin.

Doch diese richtige und wichtige Antwort darf natürlich keine leere Formel bleiben.

Dazu noch ein paar Gedanken und Anstöße:

Jesus ist der Christus

Jesus ist der Christus. Und das gilt für alle. – Es gibt in der Taufe keine Unterscheidungen und keine Wertungen mehr. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“, schreibt Paulus (Gal 3,28). – Das trifft in so mache innerkirchliche Diskussion unserer Zeit.

Damit entsteht natürlich kein christologischer Einheitsbrei. Alleine das Geschenk der Doppelfrage des Evangeliums macht das deutlich: Was denken die anderen? Was denkt ihr? – Zugespitzt: Und du? Wer bin ich für dich?

Jesus ist für jeden Einzelnen der Christus

Die Frage, wer Christus für mich und dich, für den einzelnen Glaubenden ist, die ist für alle Zeiten wichtig und richtig. Aber jede Zeit und jeder Glaubende muss sie eben auch für sich und zu seiner Zeit beantworten. Er bzw. sie muss sie beantworten wollen und können, d.h. dürfen. – Wie gesagt, wir stehen einmal wieder kaum zwei Wochen nach dem Pfingstfest. Und wer wären wir, dem Herrn zu verbieten, dass der Geist auch in unserer Zeit sprechen dürfte?

Ein kurzer Blick auf manche Menschen, die wir Heilige nennen, kann uns vielleicht andeuten, wie die Antworten dann aussehen können: „Und sie werden auf mich blicken, auf ihn, den sie durchbohrt haben“, haben wir in der ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Sacharja gehört (Sach 12,10).

Das verweist mit der neutestamentlichen Brille natürlich sofort auf Jesus am Kreuz. Und Jesus selbst verweist ja auf die Notwendigkeit des Kreuzes: für sein eigenes Leben und Wirken, aber auch für die, die Ihm nachfolgen wollen.

Jesus als den Christus dort finden, wo wir scheitern und fehlen

Wo also finden wir die Antwort auf unsere Doppelfrage am ehesten? Wo finden wir Ihn, Jesus, den Christus, am ehesten? Am Kreuz. Im Scheitern. In der Sinnlosigkeit aller unserer Fragen. In den Zweifeln über die Welt und die Menschen. In all den falschen Antworten, die wir Menschen in unserer tiefen Freiheit als Kinder Gottes geben können. Wir können uns eben entscheiden, wir sind frei, wir dürfen fragen und wir können gefragt werden. Und unsere Antworten können auch falsch sein.

Der Blick zu den Heiligen:

Martin von Tours, der Soldat und Machtmensch, erkennt Christus in dem armen frierenden Bettler, und er wird zum betenden Mönch und zum Bischof, der für die Machtlosen eintritt.

Paulus erkennt seinen Christus in denen, die er verfolgt und die er vernichten will, und er lässt sich von Ihm gleichsam gefangen nehmen, wird zum Narren um Christi willen.

Benedikt von Nursia, Kind der lärmigen Völkerwanderung und lauter gesellschaftlicher Umwälzungen, erkennt Christus in dem, der bleibt und sich verwurzelt, der still wird und schweigt.

Christus begegnet uns vielleicht am ehesten dort und auf eine solche Weise, wie wir sie gerade nicht erwarten. – Die anderen, die haben ihre Antworten. Das müssen nicht unbedingt meine Antworten sein.

Bei Monty Python wurde gefrotzelt, „jeder nur ein Kreuz“. Richtiger ist, jeder nur sein Kreuz. Jeder seine eigene Antwort: Und du, wer bin ich für dich?

Christusbeziehung neu wagen

Damit will ich weder einer überzogenen und frömmelnden Leidensmystik das Wort reden, noch viel weniger einem ausufernden Individualismus Tür und Tor öffnen.

Christusbegegnung und Christusbeziehung geschieht dort, wo das, was in meinem eigenen Leben und im Leben der Gemeinschaften und Gesellschaften um mich herum schief läuft, ans Kreuz kommt. Dazu können durchaus auch Fragen des geschmähten Zeitgeistes gehören: die Rolle der Frauen in der Kirche, der Umgang mit Macht in der Kirche, die Fragen von Schöpfungsbewahrung und Nachhaltigkeit. Täglich das eigene Kreuz auf sich nehmen, kann auch bedeuten, das Kreuz des aktuellen Tages zu erkennen. Auch wenn es mir vielleicht so scheinen mag, als sei es nicht meines.

Aber diese Fragen hatte auch Jesus selbst: Wenn es möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorübergehe… Warum, warum hast Du mich verlassen?

Weil Jesus der Christus ist

Sich selbst nicht zu wichtig nehmen.

Gewissermaßen das eigene Leben verleugnen können.

Nicht selbst Messias spielen wollen.

Sondern Jesus den Christus sein lassen, immer wieder neu, täglich.

Gott immer wieder neu fragen lassen: Wo bist du? Wo ist Dein Bruder? Was hast Du getan? Was willst Du, dass ich Dir tun soll? Wie viele Brote habt ihr? Wen suchst Du? Liebst Du mich? Hast Du mich wirklich lieb?

Die anderen, für wen halten sie mich? Und du, wer bin ich für dich?