"Ich liebe Dich! Ich bin hier. Und ich bringe Dich heim!"
01. März 2009
P. Jeremias Marseille OSB zum Heiligabend 2003
Liebe Schwestern und Brüder!
"Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf." (Jes 9,1)
Finsternis und Licht - damals wie heute.
Das wahre Licht ist jenes, das in der Finsternis leuchtet. Weil es aber in der Finsternis leuchtet, muss man die Stunden der Finsternis kennen. Nur in der Nacht können wir neu lernen und erfahren, was Licht bedeutet. In dieser Nacht feiern wir die eine - die Heilige Nacht.
Was wundern wir uns, dass wir in diesem, Seinem Heiligen Land, so sehr Licht und Finsternis nebeneinander erleben; - soviel Finsternis - und so strahlendes Licht in der Finsternis; - das uns hier sein und bleiben lässt; - wie ein unaufhörliches Magnet, das uns anzieht - Sein Heiliges Land.
In diesen Landstrich der Erde, an diesem winzigen Punkt des Kosmos hat sich Gott ganz eingelassen und ist Mensch geworden in Jesus von Nazareth.
Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern die geweihte Nacht und singen zu recht "stille Nacht - heilige Nacht". Und ich wünsche Euch allen von ganzem Herzen eine gesegnete Weih-Nacht. Möge Seine Liebe und die Liebe zu Seinem Frieden Eure Herzen erfüllen.
Vor 2 Wochen war ich kurz mit unserem Br. Franziskus in Betlehem. Nach dem Warten am Checkpoint fahren wir durch eine trostlose und graue Stadt, die müde ist von allem Aufbegehren im Kampf. In der Geburtskirche wird gerade geputzt und gewienert zum Fest. Und in der Geburtsgrotte selbst stehen wir alleine. Der Stern von Betlehem zieht einen unwillkürlich in die Knie; zieht uns einen Moment lang hinab in tiefes Schweigen. Und es bleibt eine unberührte Stille, eine Ursprünglichkeit, eine Einladung zum Neubeginn mit jedem neuen Atemzug, eine Frische und Reinheit, die sich weder von den eigenen Ungereimtheiten und Finsternissen, noch von der großen Finsternis des Landes beeindrucken lässt.
Die Geburt des Herrn ist in diesem Land geschehen. Und so wie es besondere, kraftvolle Orte gibt, die uns wie Magnete an die Botschaft Gottes heranziehen, so gibt es auch besondere Zeiten, in denen das gleiche passiert. Und diese Nacht ist eine solche Zeit - eine Heilige Nacht, in der uns Gott ganz besonders nahe sein will; sich uns in ganz besonderer Weise schenkt und verwandelt.
Die Geburt Jesu Christi ist nicht nur der große Wendepunkt im Laufe der Menschheit, sondern auch der Dreh- und Angelpunkt im Leben eines jeden von uns. Gott selbst ist in dem Kinde Jesus in einer solchen intimen und unübertrefflich tiefen Weise in unser irdisches Leben eingedrungen, dass er nur noch mit uns zusammen und mit der ganzen Welt heim kommen kann! Gott kann nicht mehr ohne uns, und wir können nicht mehr ohne IHN.
Warum kommt Gott - damals wie heute - in so unglaublich diskreter Weise, wie es kaum krasser als bei dem Propheten Jesaja ausgedrückt werden kann? "Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, (-- das sind unsere täglichen 21.00 Uhr Nachrichten --) … und direkt im nächsten Satz: ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt."
Gott kommt so klein und unscheinbar und diskret, weil er in Liebe kommt; weil er die Liebe ist. Und Liebe kommt in Freiheit und drängt keinen. Doch der allerzarteste Gedanke an seine Liebe ist dichter und wiegt schwerer als das Schwerste in der Welt.
Gott kommt unaufhörlich und in unendlicher Geduld je neu und in dieser Nacht in ganz besonderer Weise in Seinen Wort an uns, das unwiderruflich ist: ich liebe dich!
"Und dieses - Sein Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." (vgl. Joh 1,14)
Hierin hat Gott in Jesus Christus das letzte und letztgültige Wort im Drama der Weltgeschichte gesprochen: "Ich liebe Dich! Ich bin hier! Und ich bringe Dich heim!" Halten wir diese Botschaft dieser Heiligen Nacht ganz fest in unserem Herzen: "Ich liebe Dich! Ich bin hier. Und ich bringe Dich heim!"
Unsere Eucharistiefeier in dieser Heiligen Nacht, die große Danksagung, unser ganzes Weihnachtsfest, alle Vor- und Nachbereitungen, der wunderschöne riesige Tannenbaum, die ausdrucksstarke Krippe, das Wienern und Putzen vor und nachher, die aufgewühlten Herzen, die typischen Anspannungen vor dem Fest, die Momente geschenkter tiefer Stille… all das ist ein einziges auf- und abschwellendes Echo auf die große Liebe des Vaters, die uns in dieser Nacht in unseren Herzen, und inmitten unserer Gemeinschaften, neu geboren wird. Er gibt sich ganz hin!
Die Frage an uns lautet in dieser Nacht: Und was geben wir? >Das wahre Leben in Gott fließt ja erst in Gegenseitigkeit. Indem wir geben, sind wir in Gott.
Liebe Schwestern, liebe Brüder: Aktivieren wir das wirkliche Inter-Esse für Gott. Er soll unsere Mitte sein, wie wir es am Beginn der adventlichen Vorbereitungszeit durch den Propheten Zefanja gehört haben. Bringen wir IHM Gaben dar. Ich möchte diese Nacht ganz konkrete Gaben vorschlagen: die Gaben der Dankbarkeit, der Beständigkeit, und der Heiterkeit.
Die Dankbarkeit weiß um die Geschenke des Lebens; sie nimmt nichts für selbstverständlich. Sie weiß sich stets verwiesen auf den, der unentwegt schenkt und ist offen für Wege und Visionen, die der Geber aller guten Gaben mit uns gehen will.
Liebe Schwestern und Brüder, ich meine uns, die wir hier in Tabgha leben ganz konkret: lasst uns die Heilige Nacht feiern im Licht des Neubeginns und verankern wir in unseren Herzen den Geist der Dankbarkeit; dankbar dafür, dass wir hier leben dürfen, wie wir hier leben dürfen, mit wem wir hier leben dürfen und woraufhin wir hier leben dürfen. Ausnahmslos jeder und jede in unserer Gemeinschaft - und mögen wir uns an manchen Tagen auch mal vorkommen wie in einem Panoptikum, uns selbst nicht ausgeschlossen, (ich finde es übrigens sehr liebenswertes) - jeder und jede ist ein Geschenk und eine Hilfe auf meinem Weg zu Gott.
Die Geschichte der Ankunft Gottes hat mit dem Ja-Wort Mariens begonnen und ist noch nicht zu Ende; es geht weiter mit unserem Ja-Wort. In bejahender Dankbarkeit wächst dann auch die Beständigkeit.
Die Beständigkeit lebt aus der Gottverbundenheit, die immer da ist. Nur wir laufen vor ihr weg. Aber mit den Banden der Liebe, die in dieser Heiligen Nacht unübertroffen ziehen, bindet Gott uns immer wieder zurück an sich. Die Beständigkeit weiß in allem Auf und Ab unseres Alltags, sowie in der politischen Großwetterlage dieses Landes und der ganzen Welt, den Blick offen und das Herz bereit zu halten für Seine Gegenwart und Seine Pläne. Die Beständigkeit lebt aus dem vertrauenden Gebet: "Dein Wille geschehe."
Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns diese Heilige Nacht feiern im Licht des Neubeginns und verankern wir in unseren Herzen auch den Geist der Beständigkeit. In ihr wird Gott uns unseren Weg hier am Ort zeigen, und uns die Aufgaben offenbaren, für die wir hier sind; Er wird uns auch durch und in unseren Aufgaben führen. Nur in der Beständigkeit kann uns Gott zu seinem Werkzeug formen. Leicht formen lassen wir uns allerdings nur im Geist der Heiterkeit.
Die Heiterkeit weiß, dass das Leben nicht tierisch ernst ist. Die Heiterkeit kann mal "fünf gerade sein lassen" und erinnert sich schnell wieder daran, wie gut es uns eigentlich geht. Die Heiterkeit weiß um die Unberechenbarkeit und die Zärtlichkeit Gottes. Die Heiterkeit der Seele hat nichts Ängstliches oder Verweichlichtes. Die Heiterkeit atmet noch einen Hauch von Gottes Geist, der am ersten Schöpfungsmorgens über den Wassern schwebte, und sich nicht von allem gefangen nehmen lässt. Sie bewirkt eine zuvorkommende Liebe untereinander, die nicht alles so schwer und so super genau nimmt, sondern in Leichtigkeit fließt. Sie ist souverän, weil sie sich getragen weiß von der Liebe und der Führung Gottes, die wir nie durchschauen werden, sondern der wir uns nur anvertrauen können.
Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns diese Heilige Nacht feiern im Licht des Neubeginns und verankern wir in unseren Herzen auch den Geist der Heiterkeit. In ihr wird das Leben leichter, nicht unernsthafter, aber froher, und einfach noch liebenswerter.
Im Geist der Dankbarkeit, Beständigkeit und Heiterkeit lasst uns den Weg zur Krippe gehen, und wir lernen Gottes Zeichen der Zeit im Unscheinbaren und Kleinen zu verstehen. So ebnen sich dann auch unsere Wege zueinander.
Denn auf dem Weg zur Krippe steigen wir alle herab von unserem Wissen, unserem Besser-Wissen-Wollen und unseren Vorurteilen. Wir knien miteinander nieder und beten an - und glauben.
Dann bleibt eine Stille, die die Richtung fühlt. Und unmerklich, dass wir es überhaupt wahrnehmen, werden wir aufgerichtet, miteinander.
Wir schauen auf das Kind und beginnen mit seinen Augen zu sehen.
"Ehre sei Gott in der Höhe!"
P. Jeremias Marseille OSB