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Meldung im Detail


Fastenpredigten in St. Godahard, Hildesheim: Das Magnificat

07. März 2010

Predigt von P. Jonas Trageser OSB am 3. Fastensonntag 2010 zu Lk 1,46-55

Liebe Schwestern und Brüder,

Auf unserem gemeinsamen Weg durch die österliche Bußzeit, der uns hinaufführt nach Jerusalem, halten wir an diesem Sonntag hier mit Gebet und Predigt wieder inne. Kann es für uns Christen einen intensiveren Weg als diesen mit Christus geben? Die geprägteste aller Zeiten des Kirchenjahres soll uns durch Halte - und Orientierungspunkte und manch persönlich gesetzten Schwerpunkt helfen, diesen geistlichen Weg voll innerer Vorbereitung, Anteilnahme und Vorfreude auf das Osterfest zu gehen. Der Heilige Benedikt rät uns:

“Mit geistlicher Sehnsucht und Freude das Heilige Osterfest erwarten.“

Vielleicht können für diese „geistliche Sehnsucht und Freude“ auch die Fastenpredigten hier in der Basilika von St. Godehard helfen. Entlang der Tagzeitenliturgie von Laudes, Vesper und Komplet der Kirche, die uns Benediktinerinnen und Benediktinern kostbares Vermächtnis und Verpflichtung und vielen mit uns sind, gehen wir diesen Weg.

Bevor wir heute in die Thematik des Magnifikat einsteigen, möchte ich einen Gedanken aus einer Präfation für die Sonntage im Jahreskreis voranstellen. Hier scheint mir Zentrales im Blick auf die Eucharistie gebündelt, und dicht auch für unser Thema aufzustrahlen. Dort heißt es:

„In dir leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Jeden Tag erfahren wir aufs Neue das Wirken deiner Güte. Schon in diesem Leben schenkst du uns den Heiligen Geist…“.

Ja, weil wir in IHM leben, uns bewegen und sind, deshalb loben und preisen wir GOTT. Und weil wir jeden Tag auf Neue das Wirken SEINER Güte erfahren, danken wir Gott mithilfe des großen Gebetsschatzes der Kirche: der Psalmen, der Hymnen. Schon in diesem Leben dürfen wir singend und betend die Kraft des Heiligen Geistes an Zeuginnen und Zeugen des Glaubens erfahren und schließen uns dieser Dynamik an. Lassen wir uns also durch das Magnifikat, das „Lied vom heiligen Umsturz“, wie es Kurt Marti, der Schweizer Dichter und Priester nennt, anregen für uns eigenes Christsein heute. Hier seine Übersetzung:

1
„und Maria sang
ihrem ungeborenen Sohn:
meine Seele erhebt den Herrn
ich juble zu Gott meinem Befreier
ich: eine unbedeutende frau aber
glücklich werden mich preisen
die Leute von jetzt an
denn großes hat Gott an mir getan sein
Name sei heilig
und grenzenlos sein erbarmen
zu allen denen es ernst ist mit ihm er
braucht seine macht
um die Pläne der Machthaber fortzufegen
er stürzt die hohen vom sitz
und hebt die unterdrückten empor
er macht die hungrigen reich
und schickt die reichen hungrig weg

2
und Maria konnte kaum lesen
und Maria konnte kaum schreiben
und Maria durfte nicht singen
noch reden im Bethaus der Juden
wo die Männer dem mann-gott dienen
dafür aber sang sie
von der großen Gnade
und ihrem heiligen Umsturz“

Maria singt! Ein großartiges Lied, ein Psalm von ungeheurer Kraft! Das Magnifikat. „Magnifikat", das ist einfach das erste Wort dieses Liedes in lateinischer Sprache. Luther übersetzt: „Meine Seele erhebt den Herren", unsere Einheitsübersetzung sagt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“. Wörtlich heißt es „groß machen", magnificare, erheben, preisen.

Dietrich Bonhoeffer schreibt über das Magnifikat:

''Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht ... ein hartes, starkes, unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht.''

Das Magnifikat, der große Lobpreis, den Maria singt, wird im Stundengebet der Kirche Tag für Tag in der Vesper am Abend über den Äquator hin von Millionen von Menschen gesprochen oder gesungen. Überall auf der Welt beten und singen Menschen das Magnifikat, das darf uns in einer kleiner werdenden Kirche gerade hier im Westen froh und dankbar stimmen. Wir sind miteinander nicht nur durch das Internet weltweit vernetzt, sondern auch durch unser Beten und Singen in der Stundenliturgie. Dieses Netz trägt uns.

Die frühere Äbtissin von Burg Dinklage Schwester Maire sagt in diesem Kontext:

„Für die, die das Stundengebet regelmäßig beten, ist das täglich wiederkehrende Magnifikat wie ein Refrain im großen, vielschichtigen Loblied auf Gott. Jeder Tag bringt in den verschiedenen Gebetszeiten und in der Eucharistiefeier seinen eigenen Ausschnitt aus der Bibel, den wir aufnehmen und zu verinnerlichen suchen. Das Magnifikat, das jeden Tag vorkommt, ist wie eine bergende Herberge auf dem Weg. Man braucht sich hier auf nichts Neues zu konzentrieren - keine neuen Worte, keine neuen Bilder aufnehmen -, sondern man kann sich im vertrauten Text niederlassen, kann Atem holen, und die Eindrücke, die man unterwegs aufgenommen hat, zur Ruhe oder zum Nachwirken kommen lassen“

soweit Schwester Maire. Ich füge hinzu, im Laufe der Zeit wird es zu einem inneren, kostbaren Schatz, den ich immer wieder öffnen und mich daran erfreuen kann.

Maria kommt uns ja allzu oft als stille, bescheidene Frau daher. Hier im Lukasevangelium aber, ist sie Prophetin, Kritikerin ungerechter Verhältnisse im Namen Gottes. Marias Lied ist ein Protestruf, der uns in Bewegung setzen will. Eine junge Frau, das unbedeutende jüdische Mädchen Mirjam, bringt Worte hervor von heftiger Sprengkraft. „Theologie von unten" ist das. Sie ist schwanger, sie ist im Haus des Zacharias und der Elisabeth zu Besuch: Verwandtschaft trifft sich hier. Elisabeth, ebenfalls schwanger, spürt, wie ihr Kind in ihrem Leibe vor Freude hüpft: der spätere Johannes der Täufer - schon als Ungeborener wird er Zeuge einer Reich-Gottes-Bewegung.

Was also sagte Maria? Welches Wort benutzte ein Jude, wenn er sagen wollte: „So sei es”? Er sagte „Amen“. Mit diesem „Amen“ sagt Maria: „So ist es und so sei es”. Glaube und Gehorsam zugleich liegen in diesem Wort. Wer Gott auf diese Weise antwortet, der bestätigt, dass das, was Gott sagt, wahr ist und er sich dem unter stellt. Wer „Amen“ sagt, sagt „Ja“ zu Gott.
Unser „Amen“, unser „Ja“ zu Gott muss zugleich auch ein erneuertes „Ja“ zu der Sendung sein, zu der Gott uns alle durch Taufe und Firmung mit unterschiedlichen Gaben und Charismen berufen hat mitten hinein in Kirche und Welt. Schauen wir deshalb weiter auf den Evangelisten Lukas. Er scheint uns unsere gut situierte Bürgerlichkeit nicht nehmen zu wollen, aber er will, dass wir Maria zuhören, immer wieder und immer wieder neu. Er will uns spüren lassen, dass sich in diesem Augenblick unsere Werte zu verflüchtigen beginnen, weil da etwas anderes, Größeres hereinbricht. Zu Maria, der niedrigen Magd, hat sich der Himmel herabgebeugt – das ist es, was sie so groß macht und was alle irdisch-menschliche Herrlichkeit neben ihr in den Staub sinken lässt und sie sagt Ja dazu.
Größe hatte schon immer Konjunktur: Kaiser, Könige, Statthalter, Spitzenpositionen, Hitlisten, Megaevents, Supertalente keine Frage. Größe, das ist für Menschen etwas Faszinierendes, aber auch Verführerisches. Groß herauskommen möchte manch einer selber gern auch in der Kirche.
Menschen werden aufgebaut, etwa Kandidaten für öffentliche Ämter, und so mancher Zeitgenosse wird von den Medien hochgejubelt, aber auch dann wieder schnell fallen gelassen, wie eine heiße Kartoffel. Groß sein, groß machen - das ist ein menschliches Dauer-, aber auch ein Trauerthema.

Gottes Größe - sie zeigt sich im Kleinen …

Kein Wunder, dass auch die Heilige Schrift ein Lied davon singen kann, und zwar ein ganz besonderes Lied und ein großes Lied dazu: das Magnifikat der Maria. Aber wie anders ist das "Großmachen" hier gemeint! Es bedeutet nicht "aufbauen" oder "hochjubeln"; es bedeutet: die Größe Gottes, des Allerhöchsten, als die einzige wirkliche und wahre Größe erkennen und anerkennen. Das tut Maria in und mit ihrem Gesang. Offenbar ist die Größe Gottes ihr zur ganzheitlichen leib-seelischen Erfahrung geworden - sie erlebt sie buchstäblich am eigenen Leib, ja, im eigenen Leib. Die Größe Gottes offenbart sich ihr in dem noch in ihrem Schoß verborgenen göttlichen Kind, dessen leise, ganz unspektakuläre Ankunft in unserer Welt. Maria erfährt in ihrem Leben in reinster Ausprägung etwas, was Menschen immer wieder mit Gott erlebt haben: Seine Größe ist so ganz anders als menschliche Vorstellungen von Größe. Sie erscheint mit Vorliebe im ganz Kleinen, Machtlosen, Unscheinbaren, Verborgenen.

... auch im machtvollen Eingreifen,

Zwar zeigt sich Gottes Größe nach den Worten des Magnifikat auch darin, dass Gott um der Gerechtigkeit willen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung umkehrt, also durchaus auch im innerweltlichen Sinne machtvoll waltet, denn "er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen." und "Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen."

... vor allem aber in seinem Erbarmen.

Doch seine Größe zeigt sich am schönsten in seinem rettenden Erbarmen. Dieser Gedanke ist so wichtig, dass er am Ende des Magnifikat nochmals mit Nachdruck hervorgehoben wird: "Er [...] denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig", zu diesen Nachkommen gehören auch wir. Das rettende Erbarmen ist sozusagen die endgültige Gestalt, in der sich Gottes Größe offenbart. Es ist interessant zu wissen, dass das hebräische Wort für "Erbarmen" gleichbedeutend ist mit "Mutterschoß". Dieser Gott ist so groß, dass er alles Geschaffene, das immer auch bedroht ist, liebevoll, zärtlich, rettend und bergend umfängt in unverbrüchlicher Treue, "auf ewig". Seine Größe enttäuscht und sprengt damit die menschlichen Vorstellungen von Größe. Das muss Maria von innen heraus begriffen haben und davon legt sie Zeugnis ab, indem sie das Los annimmt, das Gott ihr in seinem Heilsplan zugedacht hat: Durch sie tritt das rettende Erbarmen Gottes in der Gestalt Jesu in die Welt.
Die Schwägerin Elisabeth scheint sofort begriffen zu haben, was es mit Maria in diesem Augenblick auf sich hat: „Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!“ – Da kann Maria nicht mehr an sich halten, und der Jubel bricht aus ihr heraus. Maria, die Gewinnerin!, aber ganz anderer Art. Lukas lässt uns an ihrem Jubel teilhaben. Freuen wir uns mit ihr!
Liebe Schwestern und Brüder, das Magnifikat ist deshalb ein vorösterliches Auferstehungslied, das Menschen voll Demut „Ich“ „ Ja“ sagen lässt und von Liebe und Respekt geprägt ist, das in der „ Kraft Gottes die Welt in Atem hält“, wie es einmal Bischof Wanke ausgedrückt hat. Diese Kraft Gottes ist auch in uns hineingelegt, damit wir durch unser einmal gesprochen Ja in Ehe und Partnerschaft, mit den Evangelischen Räten, als Priester oder in einer Ordensgemeinschaft oder als Alleinstehende und -lebende „die Welt in seinem Atem halten“.
Das Magnificat singt von der Befreiung, wie das Lied der Mirjam, der Schwester des Mose. Sie haut für Gott auf die Pauke, so ist es wunderbar auf einem Mosaik in der Krypta unserer Dormitio Abtei über der entschlafenen Maria dargestellt. Von jenem geistlichen Lied des Magnifikat her schließt sich uns die ganze Bedeutung der Menschwerdung, der Erlösung in Tod und Auferstehung Jesu und unseres christlichen Glaubens auf. Stimmen wir deshalb oft und oft in dieses „ Lied vom heiligen Umsturz“ ein und machen wir es uns von seiner dynamischen Kraft für Kirche und Welt zu eigen. Gottes Größe will auch in unserer Schwachheit zum Zug kommen.

Magnificat anima mea dominum – Meine Seele preist die Größe des Herrn.