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Meldung im Detail


Zusammen glauben, feiern, beten – und pilgern!

21. Januar 2011

Predigt von Bruder Samuel Elsner OSB beim Ökumenischen Gottesdienst der ACK Herne und Castrop-Rauxel anlässlich des Neujahrsempfang der ACK am 21. Januar 2011, St. Josef Kirche, Castrop-Rauxel

Lesungstexte:

Liebe Schwestern und Brüder,

Wie oft haben Sie jemandem in der letzten Zeit „alles Gute“ gewünscht? – Zu Weihnachten, zum neuen Jahr. Den Verwandten, den Arbeitskollegen, vielleicht der fremden Kassiererin an der Kasse im Kaufhaus?
Sie haben heute auch so etwas vor: Sie begehen den Neujahrsempfang. Und sie feiern dies bewusst mit einem Gottesdienst. Anschließend werden Sie wahrscheinlich viele gute Wünsche aussprechen, in der Hoffnung, dass Sie in Erfüllung gehen.

Vor 16 Jahren bin ich das erste Mal in das Heilige Land gereist, genauer gesagt nach Jerusalem um jene Benediktinerabtei zu besuchen, in der ich vor 12 Jahren in Jerusalem eintrat. Vor dieser Reise wurden mir auch viele gute Wünsche mitgegeben: Sei vorsichtig! Pass auf dich auf! Überlege dir das noch einmal! Gottes Segen!

Leben in Jerusalem

Wenn ich von den vielschichtigen Eindrücken erzählen würde, die ich in den letzten 12 Jahren in und mit der Heiligen Stadt erlebt habe, würden wir wahrscheinlich noch nächste Woche hier sitzen. Keine Sorge!

Aber wer die Nachrichten aufmerksam verfolgt, wer schon einmal selber im Heiligen Land war, weiß, wie zerrissen dieses Land ist. Und dann können Sie sich auch vorstellen, dass das Leben dort eben nicht nur die Sonnenseiten unseres Christseins kennt. – Wo viel Licht ist, ist auch immer viel Schatten. Das ist nun mal so.

Sie können nur erahnen, wovon ich rede, wenn ich Ihnen sage, dass ich in Jerusalem während der zweiten Intifada, 2000-2003, die Belagerung von Bethlehem erlebt habe. Denken wir nur an die Besetzung der Geburtskirche und die damit verbundenen Auseinandersetzungen auf dem Krippenplatz….

Sie können nur erahnen wovon ich rede, wenn ich Ihnen sage, dass ich 2006 während des Krieges zwischen Israel und dem Libanon sechs Wochen lang in unserem Priorat in Tabgha am See Genezareth mit drei weiteren Mitbrüdern im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Fronten saß und sah, wie die Bomben über unsere Köpfe hinweg flogen..

Ich gehöre ja zu jener Generation, die in Deutschland nicht unbedingt mit dem Gedanken aufwächst, einen Krieg zu erleben.

Wo viel Licht ist, ist auch immer viel Schatten.

Eine schmerzhafte Erfahrung

Israel, ja, Palästina ist und bleibt das Land der Gegensätze.

Was das im Konkreten heißt, musste ich selbst schmerzlich lernen.

Aber ein Leben direkt vor Ort ist was anderes, als ‚es’ in tausend verschiedenen Büchern zu lesen. Die eigene Erfahrung ist die wirkliche Prägung!

Land der Gegensätze und der Konflikte

Wir haben eben einen Abschnitt aus dem Buch der Bücher gehört. – Wie klingt für uns dieser Text aus dem Matthäusevangelium vor der Folie Jerusalem?

Jeder, der seinem Bruder oder seiner Schwester auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein
...Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner...

Schauen wir in die Geschichte Israels, dann müssen wir leider erkennen, dass seit Abrahams Zeiten das Land niemals zur Ruhe gekommen ist. Das ist kein Trost, sondern ein trauriges Eingeständnis. Der lange Zeitraum macht deutlich, wie religiöses Interesse – und ich vermeide bewusst das Wort Fanatismus – wie religiöses Interesse sich gerne mit politischer Macht verbindet. Ein ungutes Konstrukt.
„Nicht die Religionen als Ganze werden extremer, aber es gibt in den Religionen zunehmend fanatische Gruppen, die auch zu Gewalt neigen“. So definiert es der Trierer Bischof Ackermann nach seiner Israelreise vor einer Woche in einem Interview.
Für uns als Außenstehende haben die Konflikte im Heiligen Land unzählige Nuancen, die wir alle gar nicht überblicken können, geschweige denn durchblicken können.

Polarisierung hat noch keiner Glaubensrichtung gut getan. Auch uns nicht, die wir aus den unterschiedlichen Kirchen hier versammelt sind. Die goldene Mitte, die gegenseitige Akzeptanz, das gegenseitige Achten und Respektieren, dass ist wichtig in einem gelungenen Miteinander. – Welche eine Ausstrahlung kann da der Zionsberg haben, als DER Ort der Urgemeinde!

Am Ort der Urgemeinde

Schauen wir genauer hin: Die Urgemeinde, die sich nach dem Tod Jesu in Jerusalem sammelte, hat es nicht leicht gehabt: Die Römer waren im Land. Der Tempel wurde im Jahr 70 n. Chr. zerstört. Der Zutritt in die Heilige Stadt den Juden verboten – somit auch den Judenchristen.
Die ersten Christen, die sich heute ununterbrochen im Land nachweisen lassen sind die Mönche, und zwar Griechen, Syrer, Ägypter, Äthiopier, Armenier, Georgier und die Lateiner! Sie siedelten überall im Heiligen Land, besonders in der judäischen Wüste, und zwar ab dem 2. Jahrhundert.

Haben Sie es wahrgenommen? – Griechen, Syrer, Ägypter, Äthiopier, Armenier, Georgier und die Lateiner! – Sieben Gruppierungen mit ihren je unterschiedlichen Traditionen. Allein das wären sieben Predigten!

Aber in Kürze sei es so erklärt: Die erste „richtige“, voll organisierte Kirche war die heutige griechisch-orthodoxe Kirche, die sich im 4. Jahrhundert in Jerusalem fest etablierte. Mit der Eroberung Jerusalems durch den Islam im 7. Jahrhundert kamen im Schlepptau und Schutzschirm der Muslime auch jene Kirchen ins Land, die sich von der offiziellen Reichskirche abgespaltet hatten und von dieser als „Monophysiten“ verunglimpft wurden, nämlich die orientalisch-orthodoxen Kirchen: die Kopten, die Syrer, die Armenier und Äthiopier. Mit den Kreuzzügen kamen dann die „Lateiner“ als dritte große kirchliche Gruppe hinzu. Im 19. Jahrhundert schließlich drängten sich auch die Russen, Lutheraner und die Anglikaner ins Land.
Dieser Zufluss von christlichen Gruppierungen setzt sich fort bis in unser heutiges 21.Jahrhundert: Heute kommen Freikirchen ins Land. Ebenso taucht das Phänomen der „Messianischen Juden“ auf. Das sind jene Juden, die Christus als Messias akzeptieren, aber bewusst jüdisch bleiben wollen.

Was all diese Christlichen „Migrationsströme“ vereint – angefangen von den frühen Mönchen bin zu den Gruppierungen des 21. Jahrhunderts – ist die Sehnsucht nach dem „Heiligen Land“: Nach den Orten des Alten und Neuen Testamentes. An diesen Orten hat sich die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen erfüllt. An diesen Orten fand das Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus seinen Höhepunkt!

Das ist auch übrigens jener Grund, warum ich Benediktiner in Jerusalem geworden bin und nicht in irgendeiner deutschen Abtei: Die Sehnsucht nach einem Leben in den Spuren von Jesus Christus im Heiligen Land. Daran wird deutlich, dass es zwei Berufungen sind, die man für ein Leben in unserer Gemeinschaft braucht: Eine monastische Berufung zum Benediktiner und eine Berufung für das Heilige Land.

In Jerusalem lebt ein für uns auf den ersten Blick undurchschaubarer Dschungel an Kulturen, Mentalitäten und Spiritualitäten nebeneinander. Und jeder – bitte erlauben sie mir diese Aussage mit einem lachenden und einem weinenden Auge – jeder allein hält sich für wichtig.
Und wozu das führen kann, werden die meisten von Ihnen aus den Nachrichten wissen, wenn wieder einmal von einer „heiligen“ Schlägerei in der Grabeskirche die Rede ist. Ja, der Weg zur Einheit der Christen ist noch ein langer Weg!
In Deutschland kategorisieren wir Ökumene gerne in evangelisch und katholisch. Spätestens ab jetzt wissen Sie, wen Sie beim Thema Ökumene noch alles im Boot sitzen haben.

Darum bitte ich Sie inständig: Bei all ihrem Tun und Engagement des Miteinanders hier vor Ort: Vergessen Sie nicht die Christen im Heiligen Land! Sie haben unser Gebet nötiger. als wir gerne denken. Ein Christ im Heiligen Land steht unter einem doppelten Verdacht: In der Regel ist er Araber, das macht ihn bei den Juden verdächtig. Zum anderen ist er aber Christ, das macht ihn bei den Muslimen verdächtig, die zugleich Araber sind.

Als Christ im Heiligen Land

Die politische Situation führt mittlerweile dazu, dass der christliche Anteil im Heiligen Land deutlich unter 2% der Gesamtbevölkerung liegt. Wie Sie wissen, zerschneidet eine über 350 km lange Mauer das Heilige Land. 8m hoch! – Bedenken sie bei Ihrer Vorstellung: Die Mauer in Berlin war 3 m hoch!
Sie soll der Sicherheit dienen. Diese Mauer dient nicht der Sicherheit, dazu hat sie viel zu viele Lücken. Und sie dient erst recht nicht dem Frieden.

Mauern ermutigen eher andere zur Flucht. Zum Widerstand.
Viele junge christliche Palästinenser verlassen das Land, weil sie in Israel keine Perspektive für eine Zukunft sehen. Sie studieren in Europa, lernen einen ganz neuen Umgang kennen und fragen sich mit Recht: Was soll ich Zuhause, wo ich keine Zukunft habe? Wo ich nicht gerne gesehen bin?
Doch diese berechtigte Frage auf der einen Seite ist zugleich auch das Desaster des Heiligen Landes: Der christliche Anteil in den einst christlichen Zentren von Nazareth oder Bethlehem sinkt ganz gewaltig. Zwei Städte, die mittlerweile deutlich muslimisch geprägt sind.

Bischof Ackermann erwähnt in seinem Reisebericht auch noch eine weitere religiöse Schwierigkeit für die Christen: „Sei es, dass Christen auf offener Straße gelegentlich respektlos behandelt werden oder dass etwa ein Muezzin so laut und dauerhaft zum Gebet ruft, dass christliche Gottesdienste gestört werden.“
Ich habe es als Christ in Jerusalem selbst erlebt: Ich gehe im Habit durch die Altstadt von Jerusalem und werde auf dem Weg zur Grabeskirche von Andersgläubigen bespuckt.

  • Wie gehen wir miteinander um, die wir alle an den einen Gott glauben?
  • Welche Möglichkeiten des Dialogs haben wir bei allem Unterschied der Mentalitäten?
  • Und was können wir aus der Situation des Heiligen Landes für uns hier lernen?

Matthäus setzt auf Dialog:

Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat…

Hören wir gut hin: Dass dein Bruder etwas gegen dich hat!!

…so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen, geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe!

Haben Sie den Unterschied wahrgenommen? – Es geht nicht nur um eine einseitige Versöhnung, wenn ich in Unfrieden mit meinem Nächsten bin. Sondern wenn ich spüre, dass jemand sich mit mir schwer tut, obwohl ich persönlich kein Problem sehe. Das ist Dialog: Beide Seiten wahrzunehmen. Mich und meinen Nächsten!

Und der Prophet Jesaja gibt uns praktische Tipps, wie ein Miteinander funktioniert: Die Fesseln des Unrechts lösen, die Stricke des Jochs entfernen, die Versklavten freilassen, jedes Joch zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die Obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, einen Nackten bekleiden!

Ja, liebe Schwestern und Brüder, glauben sie denn, dass dies alles Werke im Verborgenen, in der Stille sind? Diese Werke der Barmherzigkeit sind unsere Aufgaben! Die müssen Aufsehen erregen! Stattdessen haben wir sie zurückgedrängt in die Häuser der Caritas! Da stört es wenigstens nicht unsere Ruhe. „Lass das mal andere machen“.
Stattdessen sehen wir lieber zu, wie das Christentum in Europa immer mehr an Profil verliert! Diese wachsende christliche Zurückhaltung in Europa halte ich für absolut bedenklich! Wir entwickeln uns neuheidnisch und nachsäkular!

Wir sprechen nur noch wenig über unseren Glauben.
...nicht mehr
...oder gar nicht mehr.
Vermutlich haben wir es auch gar nicht gelernt.
Haben wir Angst, etwas falsch zu sagen, weil wir zugeben müssten, es eigentlich nicht wirklich zu wissen, wie es geht? Zur Beruhigung: Das kann man auch nicht wissen. Sondern man kann es nur erfahren.

„Zusammen glauben, feiern, beten.”

Und dazu braucht es genau diesen Dreischritt: „Zusammen glauben, feiern, beten!“ Sie haben es vorbildlich auf Ihr Einladungsplakat gedruckt! Es ist das Thema der ACK!
Ich wage zu behaupten, dass ein weiterer Schritt in unserer derzeitigen Situation der Kirchen im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig ist: Das Pilgern! – Sich auf den Weg machen an die Quellen unseres Heils. Da wo Jesus gelebt hat. Der Botschaft Jesu an den jeweiligen Orten des Heiligen Landes zu lauschen.

Das Heilige Land lebt von den Pilgern! – Die Christen im Heiligen Land leben von uns Pilgern! Nicht nur finanziell. Auch geistlich! Ermutigen wir sie durch unsern Besuch, im Land auszuharren! Setzen wir ein Signal: Es ist gut, dass Ihr dort seid! Wir brauchen Euch an den Heiligen Stätten! Wenn der schleichende Rückgang der Christenheit im Heiligen Land so weiter geht, wird Israel eines Tages ein christliches Disneyland sein.

Am Ende des Gottesdienstes singen wir hoffentlich mit vollem Herzen: „In deinen Toren will ich stehen, du freie Stadt Jerusalem.“ Bis diese Stadt wirklich „frei“ sein wird, wird es noch manches Gebet, manches Lied von uns brauchen.

Und deshalb knüpfe ich gerne an meine Anfangsworte an und ermutige Sie: Wünschen sie sich nicht Floskeln wie „Alles Gute, oder „Hauptsache Gesundheit“.
Haben Sie Mut! Wünschen Sie stattdessen das Beste: die Freude des Glaubens! Damit sich mehr und mehr erfüllt, was wir in Psalm 122 beten:

Welche Freude, da man mir sagte:
„Wir ziehen zum Haus des Herrn!”
Schon stehen unsre Füße in deinen Toren, Jerusalem:
Jerusalem, als Stadt erbaut, die fest in sich gefügt ist.
Dort ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn,
den Namen des Herrn zu preisen, wie es Gebot ist für Israel.
Denn dort stehen Throne zum Gericht,
die Throne des Hauses David.
Erbittet für Jerusalem Frieden!
Geborgen seien, die dich lieben!
Friede sei in deinen Mauern,
Geborgenheit in deinen Häusern!
Wegen meiner Brüder und meiner Freunde will ich sagen:
„Friede sei mit dir!”
Wegen des Hauses des Herrn, unsres Gottes,
will ich Glück erbitten für dich.
Amen.


Zeitungsbeitrag aus „Der Westen” (23. Januar 2011) zum Gottesdienst als pdf-Download.