In die Wüste geschickt
10. März 2011
Erste Predigt von P. Jonas Trageser OSB zum „Tor zur Österlichen Bußzeit" am 10./11. März 2011, St. Magdalenen/Hildesheim
Schrifttexte: Ex 16,2-4.12-15 und Mk 1,12-15
Unsere Stunde ist die Stunde der Wüste noch… Aber diese Wüste ist Bewährung zur großen Freiheit, nicht endgültiges Schicksal. Die Wüsten müssen bestanden werden… Und ich weiß dies: Der Stern wird über der Wüste stehen. Die Wüsten müssen bestanden werden, die Wüsten der Einsamkeit, der Weglosigkeit, der Schwermut, der Sinnlosigkeit, der Preisgegebenheit.
Aber: Gott, der die Wüste schuf, erschließt auch die Quellen, die sie in fruchtbares Land verwandeln.
Mir scheint, diese Gedanken behalten über die Zeit, gerade die Zeit des Nationalsozialismus hinaus ihre Gültigkeit für jede Zeit. Gedanken, die durchlebt, durch litten und durch geglaubt sind, gerade deshalb sind sie so glaubwürdig.
Sie gehen auf Alfred Delp zurück, der eine ganz andere Wüste als jene im Orient erlebte. Innere und äußere Wüste, die für ihn trotz Todesbedrohung Bewährung zur großen Freiheit wurde.
„Jeder braucht seine Wüste“, das ist ein Buchtitel mit der Einladung zu einer spirituellen Reise. Solche eine Reise, in dieser Fastenzeit, könnte auch für uns die Einladung sein, von Zeit zu Zeit im wörtlichen wie im übertragenen Sinn den Alltag hinter sich zu lassen, bewusst sich zurückzuziehen und Gott zu Wort kommen zu lassen.
Mit Jesus in die Wüste
Seit Jesus in die Wüste gegangen ist, geht er heute und morgen und in den kommenden 40 Tagen mit uns, liebe Schwestern und Brüder in die Wüste, das ist ein wunderbarer Trost. Ein besonders kurzes Evangelium kann uns für diese Zeit Wegweisung sein.
Vorausgegangen und heute nicht gelesen ist die Taufe Jesu durch Johannes. Dabei erlebte Jesus, wie der Himmel sich öffnete und eine Stimme sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“
Heute erfahren wir, dass der Geist Jesus in die Wüste trieb. Achten wir auf die Formulierung! Nicht der Teufel lockt ihn dorthin, sondern der Heilige Geist selbst treibt ihn hinaus. Im griechischen Originaltext heißt es noch schärfer „ekballein“, das bedeutet „hinausgetrieben, hinausgeworfen“. Unsere berechtigte Frage ist: Warum wird Jesus hinausgeworfen, warum wird er in die Wüste geschickt? Was macht das für einen Sinn?
Aber warum in die Wüste?
Zuerst einmal bleibt festzuhalten: Jesus macht da keine Unternehmung auf eigene Rechnung. Es ist nicht so, dass er gerade mal Lust darauf hat, sich eine Auszeit zu nehmen. Er will auch nicht 40 Tage Wüste pur erleben. Es heißt ganz klar, dass er hinausgetrieben wird. Unserem Zeitgeist widerstrebt so etwas zuerst einmal. Wir wollen immer sofort die Ärmel hochkrempeln und im günstigsten Falle die Menschheit retten. Niemand kann bestreiten, dass auf dieser Erde und in unserer Kirche an allen Ecken und Enden dringend Hilfe benötigt wird. Wäre es also nicht dringender gewesen, dass Jesus sich nach seiner Taufe sofort in die Arbeit für das Himmelreich gestürzt hätte?
In 40 Tagen hätte er schließlich Tausende von Menschen mit der Frohen Botschaft erreichen können! Stattdessen begibt er sich in die Wüste, ins Risiko, in die trostlose, lebensfeindliche Einöde. Rainer Maria Rilke spricht von der Wüste: vom „mühsamen Nirgends, von unsäglicher Stille, wo sich das reine Zuwenig unbegreiflich verwandelt-, umspringt in jenes leere Zuviel“. Warum tut Jesus sich das bloß an?
Auf sich alleine gestellt...
Das Wichtigste: Jesus wird vom Geist, von Gott selbst in die Wüste geschickt, und er folgt diesem eindringlichen Ruf ohne Wenn und Aber. Er gehorcht und vertraut, auch wenn Ungeheures von ihm erwartet wird. Aus dem Gefühl der absoluten Sicherheit in der vorher noch so anschaulich erlebten Verbindung mit dem himmlischen Vater wird er hinausgetrieben.
Genau der Geist, der Jesus eben noch das großartige Wort des Vaters geschenkt hat, treibt ihn nun in die Wüste. Wüste – das heißt: Die Tage sind entsetzlich heiß, die Nächte sind bitter kalt. Du bist auf dich allein gestellt.
Endlos zieht sich die Zeit, ohne dass irgendetwas passiert. Das Gehirn, das stets nach neuen Informationen lechzt, bekommt nichts als nur tödliche Langeweile geboten, vielleicht ist die Abwechslung ein Skorpion mit seinem tödlichen Stachel. Stein und Sand umgeben dich, die Sonne prasselt auf deine Haupt, Schatten gibt es nur wenig. Immer dasselbe, stundenlang, tagelang, wochenlang. Eine immer stärkere seelische Müdigkeit und Lähmung entsteht, eine Art Überdruss, eine furchtbare Leere und ein Gefühl von Selbstmitleid und Resignation.
Man zweifelt mit der Zeit an sich selbst:
- Warum mache ich das bloß?
- Warum tue ich mir das an?
- Warum tut Gott mir das an?
- Warum lässt er mich hier geistlich so vertrocknen?
- Womit habe ich das bloß verdient?
Alle möglichen bösen Gedanken überfallen mich und quälen mich immer und immer wieder! Hier in der Einsamkeit kommen solche Gedanken sogar viel öfter als früher, in der Betriebsamkeit eines normalen Alltags. Langsam aber sicher werden mir meine Schwachstellen schonungslos bewusst!
Das Gefühl der Trost- und Sinnlosigkeit
Dieses Gefühl der Trostlosigkeit zehrt ganz schrecklich an den Nerven. Immer wieder dieser tote Punkt, wo es nicht weitergeht, wo man im Gegenteil das Gefühl hat, dass alles einfach nur sinnlos ist.
Viele einsam lebende Mönche, Eremiten und Heilige haben über diese Qualen berichtet. Sie haben sich zwar von der Welt zurückgezogen, um in der Anbetung zu leben, aber allzu oft hat gerade dort die Welt in Form der Versuchung sie gesucht und gefunden.
Die Wüste, die Einsamkeit, ist alles andere als Auszeit. Die Wüste ist eine ganz harte Schule der Wahrheit. In der Wüste wird Klarheit geschaffen, wird geistliche Spreu vom Weizen getrennt. Da kann man sich nichts mehr in die Tasche lügen. Alles Scheinheilige und Oberflächliche wird gnadenlos hinweggefegt.
Die Begegnung mit dem „Durcheinander-Werfer”
Gott lässt die Versuchung zu, bei den Einsiedlermönchen und auch bei Jesus, weil er sich eine Veränderung erhofft. Und die Versuchung des Teufels, der dir immer und immer wieder einzuflüstern versucht: „Mach es dir doch nicht so schwer! Wozu plagst du dich immer wieder? Du siehst doch, dass das alles gar nichts bringt!“
So und so ähnlich sind sie, die Sticheleien des großen Lügners und Durcheinander-Werfers. So will er diejenigen zu fassen kriegen, die in der Wüste angekommen sind, freiwillig oder vom Schicksal aufgenötigt.
Jesus stellt sich der Herausforderung der Wüste. Für ihn und alle, die in der Wüste ihres Lebens tapfer ausharren, ist diese schier endlos wirkende Zeit äußerst wichtig. Wenn der Teufel Jesus versucht, will er herausfinden, ob dieser wirklich der Sohn Gottes ist, dessen Speise es ist, den Willen des himmlischen Vaters zu tun.
Wenn der Teufel den Menschen, uns versucht, will er herausbekommen, wie weit wir schon mit Gottes Hilfe Herr über uns und unser Antriebe und Süchte sind. Wie weit haben wir schon die Demut gelernt, auf jeden Fall auszuharren und den Fluchtgedanken zu widersagen?
Und wenn er jeden Christen versucht, dann will er herausbekommen, wie viel der bereit ist, für seinen Glauben zu investieren und wie stark der dabei schon ist.
Immer flüstert der Satan dem Menschen ein, der in seiner Wüste ausharren will: „Sei doch nicht so dumm, auf ein schönes Leben zu verzichten! Hau einfach ab, lass hier alles stehen und liegen! Quäle dich doch nicht unnötig, das dankt dir doch niemand!”
Bei dieser Strategie werden Verzicht und Opfer als etwas Törichtes hingestellt. Das Motto gilt: Wirf einfach über Bord, was dir im Wege steht!
Bleib!
Doch genau das lehrt die Wüste: Renne nicht weg! Halte aus! Stürze dich nicht in Ablenkung und Resignation!
Aber decke den Mangel auch nicht mit zeit-weiligem Aktionismus zu! – Bleibe, wo du bist! Wenn du ausharrst, wenn du irgendwann zur Ruhe kommst, dann wirst du etwas bemerken, was du vom Wasser kennst: So lange da z.B. von einem Steinwurf in den See noch Wellen sind, kannst du nicht auf den Grund sehen. Erst wenn das Wasser zur Ruhe kommt, erst wenn auch der aufgewirbelte Dreck sich wieder abgesetzt hat, dann kannst du auch sehen, was sich da alles im Wasser spiegelt und Du kannst Dich selbst sehen.
Lass Dich ansehen von IHM.
Doch all dies ist wie beim Fasten in der Fastenzeit nicht eine Angelegenheit für finstere Mienen und heldenhafte Durchhalte-Parolen nach dem Motto: „So, nun benimm dich wenigstens mal eine zeitlang!“
Es geht nicht darum, die Zähne zusammenzubeißen, sondern das Herz zu öffnen.
Vielleicht verstehen wir nach all dem Gesagten jetzt besser Alfred Delp:
Und ich weiß dies, der Stern wird über der Wüste stehen. Gott, der die Wüste schuf, erschließt auch die Quellen, die sie in fruchtbares Land verwandeln.
In der Fortführung dieser Gedanken geht es morgen eher um Praktisches für die 40 Tage. Schon heute wünsche ich uns allen seinen Geist und allen Segen für eine erfüllte Wüstenzeit.
Amen.