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Meldung im Detail


Die Salbung in Bethanien

29. Februar 2012

„Wozu diese Verschwendung?“ (Mt 26,8)

Fastenpredigten 2012: „Was dir Frieden bringt …“
(vgl. Lk 19,42) – Erster Fastensonntag (26. Februar 2012)

Auf dem Weg nach Jerusalem (Palmsonntag) Es ist ein beschwerlicher und langer Weg von der Stadt Jericho am Toten Meer bis nach Jerusalem. 300 m unter dem Meeresspiegel liegt die wohl älteste Stadt und größte Oase der Welt. Von hier ist Jesus nach dem Mahl mit dem Zöllner Zachäus aufgebrochen und pilgert über den steinigen und steilen Pfad hinauf zur Heiligen Stadt der Juden.

Sein Weg führt ihn über Bethanien, den Heimatort seiner Freunde Marthas, Marias und Lazarus, wo er „im Haus Simons des Aussätzigen“ (Mt 26,6) eingeladen ist. Bethanien liegt auf der östlichen Seite des Ölbergs zur judäischen Wüste hin. Von hier aus reitet Jesus auf dem Rücken eines Esels und erblickt mit seiner Gefolgschaft und einer begeistert ihm zujubelnden Menge die Stadt Davids. „Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sagte: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“ (Lk 19,41f) Im gleißenden Licht des orientalischen Himmels liegt sie da mit ihren großen Mauern und Wällen und dem berühmten und beeindruckenden Heiligtum, dem Tempel des jüdischen Volkes.

Der Einzug in Jerusalem

Kaum wie eine andere erfährt diese Stadt eine wechselvolle Geschichte von Glanz und Untergang, von Macht und Verrat, von Schönheit und Zerstörung. Propheten und Psalmisten besingen ihre Einzigartigkeit, ihre Heiligkeit, ihre besondere Stellung in den Augen des Allerhöchsten. Aber sie klagen diese Stadt auch an, wieder und wieder Verrat zu üben an den Bund mit Gott, treulos zu handeln gegenüber der unverbrüchlichen Treue ihres wahren Königs.

Immer und immer wieder versagt diese Stadt im Glauben an den Gott des Vaters Abraham, weil sie sich abkehrt vom angebotenen Bund des Allmächtigen, der sein Volk aus der Sklaverei Ägyptens in das Land der Verheißung geführt hatte. Die Dichter trauern über das unendliche Leid, das ihre Feinde über sie bringen, und sie beweinen die Katastrophen ihrer Zerstörungen. Immer und immer wieder fällt Jerusalem in die Hand ihrer Feinde und erleidet schreckliche Schicksale; immer und immer wieder neu bietet Gott sein Erbarmen und seine verzeihende Güte an, bietet den unerschütterlichen Frieden, sein umfassendes und beglückendes Shalom an.

Bis in unsere Tage ist Jerusalem ein Zentrum des Glaubens nicht nur für Juden, sondern auch für das Christentum und dem Islam. Jerusalem, das heilige Zion Gottes, ist ein Symbol für das Ringen um wahren und echten Glauben, um weltliche Macht und Einfluss in den Verstrickungen von Sünde, Unglauben und Treulosigkeit, um geistige Freiheit und geistlichen Frieden, um Gotteserkenntnis und rechtes Leben. So ertönt gleichsam bis heute die Stimme Jesu wie das Klagen und Weinen Gottes, der diese Stadt liebt und an ihr leidet und ihr Schicksal sieht – jeden Tag neu, Jahre und Jahrhunderte, Generation für Generation: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“

Jerusalem – Symbol des gläubigen und des sündigen Menschen

Jerusalem, du Symbol des gläubigen und sündigen Menschen, den der allmächtige Schöpfer als sein eigenes Abbild liebt und mit „Banden der Liebe“ (vgl. Hos 11), mit starker Hand und mitleidsvollem Sehnen heimführen will in die Geborgenheit, Freiheit und glückseligen göttlichen Frieden. Jerusalem, du Symbol auch für mein kleines Leben als sündiger und zugleich von Gott geliebter Mensch. Jerusalem, du Symbol der sehnenden Liebe Gottes nach mir! Ja, „wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“ Ja, wenn doch auch ich an diesem Tag erkennen würde, was mir Frieden bringt – an diesem Tag, heute, und auch morgen und an allen Tagen meines Lebens!

Das wechselvolle Leben und Glaubensleben Jerusalems ist ein belehrendes Bild für uns alle, die wir uns nach dem großen Frieden des Lebens unter den Augen Gottes sehnen und diese Tage der österlichen Bußzeit nutzen wollen für eine neue Orientierung unseres Glaubens an den Sohn Gottes. „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“, ist der Ruf Jesu Christi an dich und mich, dass wir uns besinnen und uns von ihm wieder neu den Frieden der Versöhnung zwischen Gott und den Menschen schenken lassen – Frieden des Herzens, wo Gott in Stille und Verborgenheit uns näher ist als wir uns selbst.

Mit dem Blick des christlichen Glaubens auf Jesus wollen wir an vier Fastensonntagen Wege, Orte und Ereignisse der Heilsgeschichte nach und in Jerusalem betrachten. Sie sollen uns helfen umzukehren, den Glauben an Christus erneuern und unserem persönlichen geistlichen und weltlichen Leben zu einer lebendigen Einheit zu verhelfen.
„Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“ - Einen Frieden, der durch die Bußzeit, dem Leiden und dem Sterben Jesu Christi geboren wird als neuer Schöpfungsmorgen des Ostertages, an dem der Auferstandene selbst in unsere Mitte tritt und sagt: „Friede sei mit euch!“

Jesus im Haus des Simon

Doch kehren wir in dieser Stunde am ersten Fastensonntag noch einmal zurück nach Bethanien an den östlichen Hang des Ölbergs, wo wir mit Jesus und seinen Jüngern zu Gast sind im Hause Simons des Aussätzigen:
Im Unterschied zum Johannesevangelium, wo die Salbung Jesu im Haus seiner Freunde Martha, Maria und Lazarus erzählt wird, beschreiben die Evangelisten Matthäus und Markus die Salbung Jesu im Haus des Simon. Wir haben heute die Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus gehört, die diese Szene mit wenigen aber starken Strichen darstellt.

Als die Gäste bei Tisch sitzen, tritt eine namenlose Frau auf, die das Haar Jesu mit kostbaren, wohlriechenden Öl salbt. Der Unwille der Jünger lässt nicht lange auf sich warten. Ärger und Unmut machen sich breit im Gewand der caritativen Fürsorge für die Armen. Mehr noch: hier wird eine Grenze des Anstandes und der religiösen Sitten durchbrochen, wenn „eine Frau“ Jesus, den Rabbi, berührt. Der Konflikt richtet sich sowohl gegen die Frau als auch insbesondere gegen Jesus, der die überfließende Zuwendung dieser Frau zulässt. „Wozu diese Verschwendung?“

Wozu diese Verschwendung?

In der Frage stecken Unmut und Unverständnis gegenüber dem Meister, der ansonsten stets auf der Seite der Armen ist, die Reichen anprangert, das Almosen-Geben anmahnt. Und dann dieses hier!

Das kann und darf doch wohl nicht wahr sein! Was für eine Widersprüchlichkeit in der Lehre und im Leben des Meisters! Was für eine Enttäuschung – ja, was für ein Betrug!? Können wir ihm noch Glauben schenken? Ich dachte, er meint es ernst! Und nicht nur, dass Jesus sich herausredet: „Die Armen habt ihr immer bei euch.“, und: „Sie hat ein gutes Werk (!) an mir getan.“ Und dann auch noch die unfassbare Rechtfertigung der verschwenderischen Salbung mit dem Hinweis auf sein Begräbnis, die in dem Lob dieses namenlosen Weibes gipfelt: „Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.“

Wir können uns die Dramatik dieser Szene nicht stark genug ausmahlen. Die Kritik, das Murren der Jünger, die schwelende Unsicherheit und das Unverständnis gegenüber dem Meister tritt offen zutage. Sie sind am Ende; sie sind am Scheideweg angekommen. So oft haben sie ihn nicht verstanden und sind doch bei ihm geblieben; so oft hat er in Rätseln gesprochen; so oft hat er sie kritisiert; so oft waren die Wege mit ihm mit Unsicherheiten und Zweifeln gepflastert.
In Bethanien, am Gipfel des Ölbergs, ausgerechnet bei einer Mahlgemeinschaft, scheiden sich die Geister. Das Maß ist gerüttelt voll, das Fass der enttäuschten Erwartungen an den Meister läuft über. Ist er vielleicht doch nicht der erwartete Messias, auf den sie hofften, dass er das Königtum in Israel erneuert? Im folgenden Vers wird die schicksalshafte Bedeutung dieser Stunde der Wahrheit und Scheidung der Geister deutlich: „Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohenpriestern und sagte: „Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere?“ (Mt 26, 14f)

Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.

Was aber bringt den Jüngern und jedem einzelnen von uns denn Frieden, wenn wir die Widersprüchlichkeiten, die Verschwendungen, die Glaubenszweifel an Gottes Güte und Liebe, die Unsicherheiten des persönlichen Glaubens, die Enttäuschungen über die Kirche, die Zweifel und den Ärger über unsere nächsten Angehörigen, Nachbarn, Mitarbeitern, Freunden, Vertrauten, ja an uns selbst spüren?
Was bringt uns denn Frieden, wenn das längst heimlich schwelende Unverständnis, der unterdrückte Ärger, der Frust sich im Konflikt endlich Bahn bricht? Lehre und Leben des christlichen Glaubens dürfen nicht auseinanderfallen.

  • Haben die Kritiker und Gegner der Kirche nicht Recht?
  • Kann Gott sich rechtfertigen angesichts des Leides?
  • Beweisen nicht die wissenschaftlichen Fortschritte, dass der Glaube überflüssig ist?
  • Widersprechen wir Christen uns nicht ständig?
  • Wundert uns dann die gegenwärtige Situation?

Aber gerade auch im Blick auf mich selbst, muss ich mich doch fragen, wie überzeugend, redlich, wahrhaftig ich meinen Glauben lebe?
Ich brauche gar nicht in die Runde zu schauen!

Manchmal kann die Finsternis des Glaubens so groß sein wie die Finsternis des Zweifels. Welchen Weg werde ich einschlagen?

„Wozu diese Verschwendung?“

Auf dem Weg mit Jesus in dieser österlichen Bußzeit wird diese Frage am ersten Fastensonntag zum Kristallisations- und Entscheidungspunkt auch für unsere Nachfolge. Auf dem Ölberg in Bethanien, an der Grenze zwischen Wüste und der Stadt Gottes, fällt die Entscheidung. Sie wird auch für uns zur Frage der Entscheidung, zur Frage der Umkehr und der solidarischen Weggemeinschaft mit Jesus durch Leiden und Kreuz zur Auferstehung. „Wozu diese Verschwendung?“ führt auch mich an den Ort meiner Entscheidung des Glaubens.

Was heißt „Verschwendung“?

Was heißt „Verschwendung“? Die Kritik der Jünger, dass man das Öl verkaufen und das Geld den Armen geben sollte, klingt ja durchaus vernünftig und zeugt von einer sozialen Verantwortung. Hier wird praktisch gedacht, klug berechnet und solidarisch gefühlt. Das ist doch alles gut und richtig. Wozu also diese Verschwendung, Meister?

Verschwendung kostbarer Güter wie z. B. Lebensmittel oder die Verschwendung aus dem satten Überfluss heraus von natürlichen Ressourcen oder ein verschwenderischer Lebensstil ist an sich nicht gut und richtig. Leichtfertige Verschwendung von Gütern, die man für die Fürsorge und Pflege bedürftiger Menschen gebrauchen könnte, ist sicher für uns eine verurteilungswürdige Tat. Mehr oder weniger leben wir jedoch alle – auch indirekt – auf Kosten vieler Armen in aller Welt.
Unnütze Verschwendung ist falsch. Darüber sind wir uns einig. Aber gibt es überhaupt eine Verschwendung, die man gut heißen kann, eine Verschwendung, die gerechtfertigt ist, die eine positive, fruchtbare und Geist und Leben fördernde Kraft hat? Wie die Natur, die oftmals im Überfluss den Samen verschwendet, damit im ausreichenden Maß der Bestand der Art für die Zukunft gesichert ist? Gibt es für uns Menschen und Gläubige eine Art der Verschwendung, die sinnvoll und vorbildlich, fruchtbar und weitsichtig ist?

Um es gleich ganz deutlich zu sagen: ich bin überzeugt, dass es einen lebendigen Glauben ohne Verschwendung nicht geben kann. Das Evangelium von der Salbung Jesu in Bethanien ist, was es ist: Frohe Botschaft von der verschwenderischen Aussaat des Glaubens an Jesus Christus; überfließendes Bekenntnis von einer Liebe zu Christus, die ihres Gleichen sucht; strahlende Zeichenhandlung einer tiefen Zuneigung des Menschen, der alles gibt und sich nicht schämt für seinen Glauben und für seine Hoffnung; maßlose Hingabe der Liebe an den Herrn und Meister Jesus Christus: „Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.“

Ist sie wahr, diese „verschwenderische Aussage“ Jesu? Er-innern wir uns heute an sie? Er-innern wir, was sie getan hat? Oder hören wir nur eine erstaunliche Geschichte einer etwas hysterischen Frau aus der Bibel? Er-innern wir uns, ver-innerlichen wir, was sie tat, diese Liebende Christi?

Ihre Glaubens- und Zeugnisgeschichte der sich verschwendenden Liebe an Jesus Christus erinnert mich an einen Ausdruck, den Karl Rahner einmal gebraucht hat. In einer Meditation über die Pilgerreise der drei Weisen aus dem Morgenland zum göttlichen Kind in der Krippe schreibt er:

Der Weg ist weit; die Füße werden müde und das Herz wird schwer. Es kommt sich seltsam vor, das arme Herz, weil es so anders sein muss als die Herzen der anderen Menschen, die so ernsthaft dumm in ihren Alltagsgeschäften versunken sind, wenn sie mitleidig oder ärgerlich diese Reisenden vorüberziehen sehen auf der Reise der nutzlosen Verschwendung des Herzens. Aber ihr Herz hält durch. … Aber wer einmal sein ganzes Herz bis zum letzten Tropfen verschwendet hat an den Stern (an Jesus Christus), der hat das Abenteuer seines Lebens schon bestanden, der ist angekommen. Auch wenn der Weg noch weitergeht.

„Wozu diese Verschwendung?“ Es gibt eine Antwort auf diese rhetorische, ärgerliche Frage der Jünger oder der Menschen der Alltagsgeschäfte: Weil sie Zeugnis der Liebe zu Christus ist. In der nutzlosen Verschwendung des Herzens bis zum letzten Tropfen an Jesus Christus triumphiert die Liebe Christi überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird!
Ich gebe zu, dass mich dieses kleine Evangelium, je länger ich mich mit ihm beschäftigt habe in den Tagen der Vorbereitung, immer mehr begeistert hat. Ja, das ist es doch! Wir tragen das kostbare Öl unseres Glaubens wohlgeschützt wie in der privaten Sphäre eines kostbaren Alabastergefäßes. Doch ist das ein lebendiges Glaubensleben, das sich ausbreitet und verströmt wie das wohlriechende Öl der unbekannten Frau im Haus Simon des Aussätzigen?

Maßlose Verschwendung des Herzens

Ich lade uns alle in dieser Fastenzeit bzw. österlichen Bußzeit ein, umzukehren vom Mittelmaß eines ordentlich begrenzten, maßvollen Glaubenslebens zu einer maßlosen Verschwendung des Herzens im Glauben an Jesus Christus! Ich meine damit keine Übertreibungen im Umgang mit den drei Säulen der Frömmigkeit in der österlichen Bußzeit: Fasten, Almosengeben und Beten. Ich meine auch nicht spektakuläre oder extravagante Zeichenhandlungen, die wir nun zur Entrüstung unserer Umwelt vollbringen sollten.

Die Verschwendung des Herzens im Glauben an Christus kann ganz still und in der Verborgenheit stattfinden, indem wir uns in diesen Tagen der österlichen Bußzeit überhaupt einmal Zeit und Muße nehmen und uns fragen:

  • Wie, an wen und an was glaube ich eigentlich?
  • Was gibt mir mein christlicher Glaube?
  • Habe ich Freude an meinem Glauben?
  • Wie verleihe ich meinem Glauben Ausdruck?
  • Gibt es auch in mir so etwas wie „Liebe zu Christus“? Warum nicht?
  • Wer ist er eigentlich für mich?
  • Ob er mich sieht, ob er bei mir ist, ob er mich liebt, so wie ich bin?

Verschwenden Sie doch einfach jeden Tag einmal fünf Minuten ihrer kostbaren Zeit mit solchen Fragen, die Ihre Beziehung zu Jesus Christus betreffen. Und bitten Sie ihn um Liebe zu ihm! Ja, bitten Sie ihn um Liebe zu ihm. Diese nutzlose Verschwendung des Herzens - ganz klein, unscheinbar wird auch uns in die heilige Geschichte der Liebe Gottes zu uns Menschen tiefer und tiefer einbeziehen. Und vielleicht ohne dass Sie selbst es merken, wird das Haus ihres Herzens vom wohlriechenden Duft erfüllt werden wie das Haus Simon des Aussätzigen – wie immer auch die anderen reagieren!

„Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.“ Ich bin sicher, dass die schönste Antwort die nutzlose Verschwendung meines Herzens an die Liebe Christi ist.
Und dieser Friede sei mit euch!