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"Lasst die Sonne über eurem Zorn nicht untergehen..."

20. Februar 2014

Predigt von Abt Gregory zum 6. Sonntag im Jahreskreis (16. Februar 2014)

Sonnenuntergang

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben eben einen langen Ausschnitt aus der Bergpredigt über verschiedene Themen wie Zorn, Versöhnung, Heirat, Scheidung und das Schwören von Eiden gehört. Der heilige Matthäus erinnert daran, dass Jesus darauf bestand, dass er nicht gekommen ist, um die Torah – das am Sinai offenbarte Gesetz Gottes – aufzuheben, sondern vielmehr, um es zu erfüllen. Dies konnte er tun, weil er größer als Mose und all die anderen Propheten ist. Er hat nicht einfach nur Gottes Wort verkündet: Er ist das Wort Gottes.

Jedes Wort Jesu trägt deshalb jene „verborgene Weisheit“ in sich, die sich nun offenbart hat – die Weisheit, von der Paulus in der Lesung dieses Morgens spricht. Wir wollen uns selbst dem Licht der Weisheit öffnen, das Jesus bringt und uns nur auf eines seiner Worte, das über den Zorn, konzentrieren.

Er erinnert uns an die Gesetzesvorschrift, dass wir nicht töten sollen, aber beharrt darauf, dass das nicht genug ist. Er warnt uns mehr noch, dass Gottes Wille die bestraft, die zornig über ihre Brüder und Schwestern werden oder sie mit Worten missbrauchen. Dies sind wirklich deutliche Worte! Ich muss gestehen, dass ich, wenn man wirklich dafür zur Hölle fahren sollte, jemanden „Dummkopf“ zu nennen, für mich wenig Chancen sehe, dieses Schicksal zu vermeiden – und ich kann mir vorstellen, dass das für viele von uns heute Morgen gilt.

Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass Jesus Übertreibungen und Rhetorik nutzt, um seinen Punkt zu setzen. Er war kein abgeschiedener Philosoph, sondern jemand, der in lebendigen irdischen Bildern das Kommen des Reiches Gottes verkündete. Aber auch dann, wenn wir seinen Gebrauch einer übertreibenden Sprache erkennen, sollten wir dies nicht als Alibi nutzen, um zu verharmlosen, was er sagt. Jesus sagt uns sehr direkt, dass Zorn zerstörerisch ist.

Wir müssen nun zwischen verschiedenen Formen des Zorns unterscheiden. Es gibt auch eine gerechtfertigte Art. Es ist nicht sündhaft, zornig über die massiven Ungerechtigkeiten auf der Welt zu sein – zum Beispiel darüber, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung hungert, während in Europa und Amerika die Zahl der Übergewichtigen zunimmt. Es ist nicht sündhaft, zornig zu sein über die Bilder von verbrannten Kindern, die aus einer zerbombten Schule in Syrien getragen werden. Es ist auch nicht sündhaft, zornig zu sein, wenn wir im Fernsehen Bilder von Leichen illegaler Einwanderer sehen, die auf dem Mittelmeer treiben. Jemand, der niemals irgendeinen Zorn über solche Dinge fühlt, sollte sich selbst fragen, ob er wirklich lebendig ist. Die Propheten Israels sprachen sogar davon, dass Gott selbst zornig über die schrecklichen Dinge ist, die wir Menschen einander antun. Zorn an sich ist also nicht notwendigerweise etwas Schlechtes. Er ist eine natürliche menschliche Eigenschaft und eine verständliche Reaktion auf Ungerechtigkeit.

Aber leider wird der Zorn normalerweise auf Handlungen übertragen! Und genau hier liegt das Problem mit dem menschlichen Zorn. Wenn jemand mit Zorn auf eine Ungerechtigkeit reagiert, dann passiert es fast immer, dass seine Reaktion jede Verhältnismäßigkeit verliert. Deshalb beginnt schnell eine schreckliche Spirale von Angriffen und Gegenangriffen, wenn Gewalt beginnt, wie wir in dieser Region, aber auch an anderen Orten der Welt, nur allzu oft beobachten. Zorn nährt Zorn. Die jüdische Mystik beschreibt gern, wie Gott in der Lage ist, alle seine scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften in einer perfekten Balance zu halten: Seine Gerechtigkeit ist immer von seiner Barmherzigkeit und sein Zorn von seiner Freundlichkeit gezügelt. Aber leider sind wir Menschen nicht so: Zorn wird schnell zu einem verzehrenden Feuer, das alles niederbrennt, was ihm im Wege ist.

Diese Art von Zorn ist jedoch leicht zu erkennen. Viel gefährlicher und schwieriger zu handhaben ist die Vielfalt von unterdrückten Arten des Zorns. Er hat oft gerechtfertigte und verständliche Gründe – persönliche Verletzungen, Enttäuschungen oder sogar die Erfahrung des Missbrauchs. Aber auch dies ist ein Feuer, wenn auch mit dem Unterschied, dass dieses Feuer tief im Innern der Seele brennt. Wenn es jemand, womöglich zufällig, provoziert, kann dies unangenehme Folgen haben und furchtbare Verletzungen anderer verursachen. Es ist nie schön, von den Explosionen eines anderen in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Die frühen Mönche, besonders die Wüstenväter, hatten einen tiefen Einblick in ihre eigenen Seelen und die anderer. Sie waren die ersten wirklichen Psychologen und kannten die verborgenen Geheimnisse des Herzens. Unterdrückter Zorn war eines der Themen, die sie tief durchdachten. Sie haben verstanden, wie gefährlich und zerstörerisch er besonders im Gemeinschaftsleben ist. Welche Vorschläge für den Umgang damit haben sie uns gemacht, besonders wenn der Zorn so verborgen unter der Oberfläche im Innersten des Herzens wohnt? Ihre Antwort ist, dass Zorn dieser Art nur durch intensives persönliches Gebet und Taten der Güte geheilt werden kann.

Im Gebet erlauben wir den Strahlen des Lichtes Gottes in unsere Herzen einzutreten. Gebet ist das Mittel, durch das Gott wie ein meisterlicher Arzt in uns eine Art „geistlicher Laseroperation“ durchführt. Das helle Licht seiner Liebe dringt in uns ein. Es berührt die tiefen Wurzeln unseres Zorns, die wie Tumore der Seele sind. Sein Licht deckt sie auf, zerstört sie und bringt sie zum Verschwinden. Gleichzeitig heilt es die Wunden der Seele und schenkt ihr die Freude und den Frieden, die nur aus der Berührung mit Gott kommen – jenen Frieden, von dem Jesus sagt, dass ihn die Welt niemals geben kann. Deshalb ist eines besten Gebete, die wir benutzen können, der schöne Pfingsthymnus Veni Sancte Spiritus:

„Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund...“

Wenn wir lernen, still zu sein und vor Gott zu warten – vor ihm im Gebet geduldig zu sein -, dann wird er nach und nach das Unkraut des Zorns ausreißen, das den Garten unserer Seele verunstaltet. Stattdessen lässt er schöne Früchte und Blumen wachsen, die von seiner Gnade bewässert werden, die Früchte des Heiligen Geistes wie Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Selbstbeherrschung, wie Paulus sie in seinem Galaterbrief aufgezählt hat. Aber die Wüstenväter lehren uns, dass auch wir etwas tun können. Wir können uns bewusst darauf verpflichten, Taten der Güte zu vollbringen, denn in der Schrift lesen wir: „Liebe bedeckt viele Sünden.“

Ich glaube, dass es das ist, was Jesus von uns will. Der Kern seiner Lehre ist, dass es nicht genügt, andere nicht zu verletzen. Wir müssen uns vielmehr verändern, sodass wir, anstatt böse Werke der Bitterkeit und des Zorns hervorzubringen, Freundlichkeit und Mitleid, Barmherzigkeit und Liebe ausstrahlen. Aber dies können wir nicht allein und aus uns selbst heraus tun. Es ist das Werk der Gnade Gottes, an der mitzuwirken, wir lernen müssen. Dann und nur dann wird er die negative Kraft des Zorns – diese natürliche, verständliche, aber gefährlich ambivalente menschliche Leidenschaft – in die positive Energie der Liebe umwandeln, die sich durch die Gnade ausbreitet.

Amen.