Kommt zu mir!
06. Juli 2014
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Sie einmal im Internet unter dem Stichwort „Freiheit“ Bilder-googeln, vielleicht auch unter dem englischen „freedom“ und dem französischen „liberté“, dann werden Sie viele Fotos mit einem weiten Horizont und oft einer weiten Wasseroberfläche finden. Manchmal steht ein Mensch im Vordergrund, die Arme weit geöffnet.
Wir können uns das heute morgen hier am Seeufer vielleicht ganz gut vorstellen. Wer die Arme ganz weit geöffnet hat, der kann scheinbar Himmel und Erde umarmen. Er ist frei und empfangsbereit wie eine große Antenne. Jeden Wind kann er mit dem ganzen Körper spüren und aufnehmen.
Ein bisschen geht es ihm wie den Unmündigen, von denen Jesus im heutigen Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium spricht, die offen sind, „all das“ zu empfangen, was den Weisen und Klugen verborgen bleibt.
„All das“, das sind in den Versen unmittelbar zuvor Jesu Worte über Johannes den Täufer und sich selbst, und wie beide jeweils aufgenommen und anerkannt wurden; es sind Jesu Wehe-Rufe über jene Städte hier am Seeufer, die sich Seinem Wirken widersetzt haben, Chorazin, Betsaida und Kafarnaum. Sie haben sich in ihrem Standesdünkel dem Wirken und dem Wort Jesu entzogen und verschlossen.
Die Weisen und Klugen nicht nur zu Jesu Zeiten neigen dazu, alles zu erklären und zu interpretieren. Wir Menschen betreiben Theologie und Philosophie, wir haben großartige Naturwissenschaftler, Ingenieure und Baumeister. Aber das, worauf es letztlich ankommt, werden wir damit möglicherweise nicht wirklich erfassen: „Niemand kennt den Sohn“ (Mt 11,27), sagt Jesus. All unsere Klugheit und Weisheit hilft uns nicht unbedingt, Ihn zu erkennen und zu kennen.
Wenn es um Gott geht, gibt es kein Monopol auf Heiligkeit und Erkenntnis, dann gibt es keine Vorfahrtstraße für die vermeintlichen Profis und Experten in Sachen Religion und Glauben. Denn gerade für sie, die Klugen und Weisen gilt dann vielleicht zuerst: „Niemand, niemand kennt den Sohn.“ - Gott ist immer anders und immer größer als all unsere Worte und Gedanken.
Erst, wer sich wie ein Unmündiger von Jesus anschauen lässt, wie ein Kind oder Hilfsbedürftiger, wie einer, der nicht über sein Wohl und Wehe selbst entscheiden kann oder darf, wie einer, der mit offenen und vertrauenden Händen nimmt, was man ihm gibt, erst der wird Gottes Gaben empfangen können und wird Jesus selbst begegnen und Ihn erkennen können. – Erst, wer sich dem Wirken Jesu so offen und berührbar, vielleicht sogar so angreifbar und schutzlos wie ein Mensch am weiten Meeresstrand dem Wind und den Wellen aussetzt, erst der wird auch die Freiheit der Kinder Gottes spüren und erleben können.
Und in dieser Freiheit können wir dem Leben ganz anders entgegentreten. Das ist die große Einladung und Verheißung dieses Sonntagsevangeliums. Unser heutiges Evangelium bietet keine fromme Verklärung und Verkleidung von Leiden und Beschwernissen. Es leugnet sie nicht. Das wäre auch geradezu zynisch.
Jesus spricht vielmehr von der Last, die es zu tragen gilt, und vom Joch, das wir auf uns nehmen sollen. Sein Joch! Und dabei ist das Joch zunächst gar nicht ein Folter- oder Knechtungsinstrument, sondern als Zuggeschirr für Ochsen ist es wichtig, um den Acker zu bearbeiten, oder als Trage über der Schulter, um zwei Wassereimer oder andere Lasten besser tragen zu können. Jesu Joch auf uns nehmen, heißt, das auf uns nehmen, was zum Leben dazu gehört, letztlich, das Leben selbst auf uns zu nehmen, wie Er es getan hat; es heißt, das Leben anzunehmen.
Damit bleiben immer noch die Joche und Lasten von Krankheit und Leiden, von Gewalt und Krieg.
Aber im Geiste Jesu können solche Lasten leicht werden, und solche Joche drücken nicht. Denn wenn wir von Jesus lernen, von Seiner Sanftmut und Demut, dann können wir vielleicht auch mehr und mehr unsere Weisheiten und Klugheiten fahren lassen, um dem Unmündigen auch in uns mehr Raum zu geben.
Wir werden die Ruhe für unsere Seelen finden, von der Jesus spricht. Und wir können unsere Arme immer weiter öffnen, um den Wind einzufangen und Erde und Himmel zu umarmen. – Denn das ist die Körperhaltung Jesu am Kreuz, und die Körperhaltung des Auferstandenen, wenn Er in den Kreis seiner Jünger tritt, um ihnen Seinen Frieden zuzusprechen und Seinen Heiligen Geist zu geben.