...bis Du kommst in Herrlichkeit!
27. Juli 2014
Liebe Brüder und Schwestern in Christus,
manchmal, wenn wir zusammenkommen, um die Heilige Messe zu feiern, kann sein, dass wir etwas Realitätsfremdes spüren. Wir lesen aus alten Büchern, vollziehen ein komplexes Ritual mit Zeremonien und Weihrauch und begleiten es mit dem Gesang alter Musik. Ja, manchmal mag man versucht sein zu fragen, was der Sinn all dessen ist! Warum vollziehen wir dieses Ritual weiterhin, besonders in einer so von Tragik und Leid gezeichneten und gespaltenen Welt?
Die letzten Wochen haben uns viele erschreckende Bilder aus aller Welt vor Augen gestellt: entführte Kinder in Nigeria, Selbstmordattentate in Afghanistan und dem Irak, die Vertreibung der Christen aus Mossul nach 2000 Jahren ununterbrochenem christlichen Leben dort und den Raub der Opfer des Flugzeugunglücks in der Ukraine. Näher bei uns zuhause sind wir Zeugen der bestürzenden Morde an Jugendlichen auf beiden Seiten des Konflikts geworden und immer noch sehen wir täglich, wie Israelis und Palästinenser ihren Kampf austragen mit einer steigenden Zahl von Opfern und ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Überall ist Gewalt und Leid.
Schlimmer noch: Ein Teil davon geschieht im Namen Gottes, als ob Gott eine zornige Gottheit wäre, die Menschenopfer nötig hätte, um ihren Blutdurst zu stillen. Die aber, die die Heiligen Schriften aller drei monotheistischen Religionen wirklich kennen, wissen, dass ein solcher Gott eine Perversion ist. Wie Karl Barth einmal gesagt hat, ist er einfach eine größere – und grausamere – Version unserer selbst, die in Himmel projiziert ist, denn das Wesen aller Offenbarungsreligion ist die göttliche Barmherzigkeit.
Das bringt mich zu meiner Ausgangsfrage zurück: Welchen Sinn hat es, die rituelle Handlung der Messe Woche für Woche in einer Welt zu wiederholen, die in Blut badet und offenbar der Selbstzerstörung entgegengeht? Lassen Sie mich drei Gründe angeben, warum ich denke, dass wir daran festhalten sollten.
Der erste ist, dass wir einem Auftrag antworten. Jesus hat uns geboten, dies zu tun, und der heilige Paulus hat uns später erklärt warum. Er hat geschrieben, dass wir jedes Mal, wenn wir dieses Brot essen und aus diesem Kelch trinken, den Tod Christi verkünden, bis er wiederkommt. Der Tod Christi und seine glorreiche Wiederkunft – das verkünden wir in jeder Messe. Dies ist eine Kurzfassung des zentralen Geheimnisses unseres Glaubens: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eigenen Sohn gesandt hat, damit er sein Leben für uns hingebe. Sterbend hat er uns von Sünde und Tod befreit; in seiner Auferstehung hat er uns die Hoffnung auf immerwährendes Leben geschenkt; in all dem hat er die unendliche Liebe Gottes zur Schöpfung offenbart.
Deshalb ist dies der erste Grund, warum wir dies weiter zu seinem Gedächtnis tun sollten: Es ist eine beständige Erinnerung an Gottes Liebe für die ganze Welt und jeden Menschen in ihr – unabhängig von seinem Glauben oder Unglauben, unabhängig davon, ob er gut oder böse ist. In einer Welt, die von gegenseitigem Hass und gegenseitigen Anschuldigungen gespalten ist, ist die Messe das höchste Zeugnis göttlicher Liebe und Vergebung.
Der zweite Grund ist, dass wir in der zentralen Handlung der Messe sehr Wichtiges darüber lernen, was Liebe wirklich bedeutet. Das Brechen des Brotes geschieht zuerst aus praktischen Gründen, damit es unter uns geteilt werden kann, aber schon das erteilt uns eine Lektion über die Liebe. Gott lädt uns ein, miteinander zu teilen, damit wie beim Wunder der Vermehrung von Brot und Fisch niemand hungrig weggehen muss. Aber gibt noch viel mehr, das in diesem kraftvollen Zeichen verborgen ist. Es gibt keine Liebe ohne Brüche, weil Liebe verletzt. Wenn das nicht so ist, ist es nicht wirklich Liebe, sondern pure Senti-mentalität oder paternalistische Herablassung aus großer Höhe.
Das Brechen des Brotes erinnert uns an das gebrochene Herz Christi in der furchtbaren Todesangst seiner Passion. Es erinnert uns daran, dass Gott nicht aus sicherer Distanz liebt. Vielmehr ist er vom Himmel herabstiegen und hat das Kreuz auf sich genommen, um seine Liebe zu zeigen – propter nos homines et propter nostram salutem, wie wir im Credo singen – „wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen“. Der rumänische jüdische Dichter Paul Celan hat dies auf Deutsch schön zum Ausdruck gebracht:
Der Herr brach das Brot,
das Brot brach den Herrn.
Das Essen des Brotes und das Trinken von diesem Kelch verpflichtet uns jeden Sonntag neu, für einander in Liebe gebrochen zu sein und ihn so nachzuahmen.
Schließlich erhalten wir in der kurzen Einladung, die der Zelebrant am Beginn des eucharistischen Hochgebet singt und die die Versammlung beantwortet, einen weisen Ratschlag nicht nur für die Feier der Messe, sondern für das ganze Leben:
Erhebet die Herzen!
Wir haben sie beim Herrn!
Dies ist nicht einfach eine Flucht, die die Welt ihrem Schicksal überlässt, oder die Entscheidung, in einer himmlischen Wolke abschieden von der leidenden Welt zu leben – im Gegenteil! Es ist in Wirklichkeit die einzige Perspektive, die uns helfen kann, das Leiden zu verstehen und sogar zu umarmen. In einer Welt, in der die Politik so oft versagt, in der Gewalt herrscht und die Dinge im Chaos versinken, nehmen wir unseren Platz am Thron des göttlichen Erbarmens ein. Wir bitten ihn, uns Kraft und Energie zu geben, den Weg zu nehmen, den er genommen hat, die Bewegung nach unten und nach außen, um die Welt in Liebe zu umarmen. Wir bitten ihn, die leidende Welt zu heilen, ihre Gebrochenheit zu beheben und die Dunkelheit des Bösen mit seinem unauslöschlichen Licht zu besiegen.
Wenn alle menschlichen Bemühungen scheitern, kann das Licht der Liebe Gottes nie ausgelöscht werden – es leuchtet in der Dunkelheit und keine Dunkelheit kann es je löschen. Es ist der verborgene Sauerteig des Reiches Gottes, das trotz allen gegenteiligen Anscheins unsichtbar wirkt, um Gottes Willen zu erfüllen. In der Heiligen Messe empfangen wir dieses Licht und Gott gibt uns die Kraft zum gegenseitigen Dienst.
Deshalb werden wir als Kirche weiter die Messe feiern und in der Kraft dieser Speise bis zum Ende der Zeiten leben – bis Christus wiederkommt in Herrlichkeit.