Finden Sie was sie suchen...

Meldung im Detail


„Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden."

28. Juni 2015

Blick auf den See im Frühjahr Blick auf den See im Frühjahr

Predigt von Pater Prior Ralph am 13. Sonntag im Jahreskreis in der Dormitio (28. Juni 2015)

Töten in Gottes Namen?

„Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen.“ – Die Nachrichten sprechen eine andere Sprache als unsere Lesung aus dem Buch der Weisheit, wenn im Namen Gottes ganze Länder verwüstet, Millionen in die Flucht getrieben werden, vor laufender Kamera enthauptet oder verbrannt werden, wenn Menschen in Synagogen, Kirchen und Moscheen erschossen werden oder einfach nur am Strand. Und neben all den vielen Menschen, die uns freundlich gesonnen, ja, freundschaftlich verbunden sind, müssen wir nur aus der Tür schauen, was uns und anderen an Hass auf Wände und Autos geschmiert wird, welch ein Vernichtungswille Feuer an Gotteshäuser und Wohnungen legt.

„Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden“ – für die Protagonisten eines solchen preudoreligiösen Eifers hat das offenbar keine Bedeutung. Dort, wo die Religionen, wo Glaube und Beziehung zu Gott, Gebet und geistliches Leben die Menschen frei und froh machen sollen, geschieht dann das Gegenteil: Angst und Regression; manche zweifeln nicht nur am Glauben der anderen, sondern auch am eigenen, ja an Gott selbst. Und auch das scheint Teil einer perfiden Strategie zu sein. Terror ist jener Schrecken, der schon das Leben zum Tod erklärt.

Wie anders klingt es, wenn wir den Herrn im Evangelium am Nordufer des See Gennesareth begleiten, ganz in der Nähe von Tabgha. Er heilt Kranke, holt sogar ein gerade gestorbenes Kind ins Leben zurück: „Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden“ – in Jesus wird das erfahrbar.

Ich glaube, dass jeder religiöse Fanatismus und alle pseudoreligiös motivierte Gewalt ihre Wurzel letztlich darin haben, dass Menschen den Platz Gottes zu übernehmen versuchen, bewusst oder unbewusst. Sie projizieren ihre eigenen kranken Phantasien an die Wand, halten ihre eigenen Blähungen für das berauschende Wehen des Heiligen Geistes, verwechseln ihre selbstgebastelte Ideologie wie einen Götzen mit dem lebendigen Gott – und schlagen los, um angebliche Gottesstaaten zu errichten, die nicht Leben und Freude, sondern Tod und Tränen bringen, die niemals das Reich Gottes sein können, ganz gleich in welcher Religion.

Leben als Unterscheidungskriterium

Vielleicht kann das Leben selbst zum Unterscheidungskriterium werden: Töten und Vernichten können wir Menschen hervorragend, haben es bis zu Giftgas und Atombombe perfektioniert. Leben erschaffen können wir nicht. Auch in der Zeugung können wir nur weiterge-ben, was uns selbst geschenkt worden ist. Leben schaffen und zum Leben erschaffen kann nur Gott allein. Die Verfügung über das Leben ist Seine Domäne. Auf den Baum der Erkenntnis ist der Mensch schon im Paradies übergriffig geworden; den Baum des Lebens hat Gott dadurch geschützt, dass er die Menschen aus dem Paradies hinausgeworfen hat.

Lassen wir Gott seine Domäne des Lebens: Er schenkt das Leben, je-der einzelne lebendige Mensch gibt Zeugnis dafür, alles Leben auf Erden spricht von Seiner Schönheit und singt von Seiner Güte. Mit der Bibel glauben wir, dass Gott den Menschen gar nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, und noch über Genesis 1 hinaus heißt es in unserer Lesung aus dem Buch der Weisheit: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht.“ Diese Gottebenbildlichkeit hat durch die Sünde Schaden genommen und nimmt Schaden; aber in Christus ist Gott, so glauben wir, Mensch geworden, um uns von diesem Schaden zu hei-len. Nicht nur für ein Leben nach dieser Welt, sondern schon für dieses Leben. Das Reich Gottes, für dessen Wirklichkeit Jesus steht, beginnt schon in dieser Welt. So heilt Jesus im heutigen Evangelium eine kranke Frau und führt ein gestorbenes Kind ins Leben zurück.

Es beginnt in der eigenen Hilflosigkeit der Menschen mit Glauben und Vertrauen. Alle Ärzte Galiläas und all ihr Geld haben der Frau nicht helfen können, aber sie hat die Hoffnung auf Heilung nicht auf-gegeben. Wenn sie auch nur das Gewand Jesu berühren möchte, dann ist das kein Aberglaube an einen Fetisch, sondern das Vertrauen und Zutrauen zu dem, der dieses Gewand trägt, mit all dem Risiko, das damit verbunden ist, dem wir Menschen uns immer aussetzen, wenn wir uns einander anvertrauen. Auch der Synagogenvorsteher Jaïrus wendet sich in der Person Jesu an ein lebendiges Gegenüber. Und wäh-rend seine Leute ihm wenig einfühlsam mitteilen, dass seine Tochter eben gestorben ist – „Warum bemühst du den Meister noch länger?“ – hört er von Jesus selbst die Worte: „Sei ohne Furcht, glaube nur!“

Wenn jemand von mir verlangt: „Du musst mir da vertrauen!“, dann habe ich manches Mal schmerzhaft erfahren müssen, dass so je-mand ein solches Vertrauen leider meist nicht verdient. Vertrauen kann man nicht fordern und noch weniger mit Gewalt durchsetzen. Es kann nur in aller Freiheit geschenkt und erwidert werden. Als Men-schen gehen wir dabei immer das Risiko ein, uns zu täuschen – im an-dern und auch in uns selbst. Auch hier mag das Unterscheidungskrite-rium sein, dass jemand dem Leben dient und nicht dem Tod. Jaïrus hat gerade aus nächster Nähe erlebt, dass ein kranker Mensch durch die Berührung Jesu gesund geworden ist. Ihn bittet er in sein Haus, folgt ihm in das Innerste seines eigenen Lebens, nicht aber einem, der An-dersgläubige oder Ungläubige vernichten will – solche Fanatiker und Volksverführer gab es damals auch schon.

Die Fremdenliebe Gottes

Im Gegenteil: Auch für die Andersgläubigen ist Jesus da. Am Anfang unseres Evangeliums kommt er gerade von der anderen Seeseite, aus der heidnischen Dekapolis. Auch dort hat er einen Besessenen geheilt. Und als das die Menschen dort offensichtlich überfordert – nicht nur, dass dabei 2000 Schweine ertrunken sein sollen – und sie Jesus bitten, ihr Gebiet zu verlassen, da lässt er nicht Feuer und Schwefel auf sie regnen, sondern steigt still ins Boot.

Die Auferweckung der Tochter des Jaïrus inszeniert Jesus nicht als große Propaganda-Show, sondern nimmt nur die Eltern und den innersten Kreis seiner Jünger mit sich – Petrus, Jakobus und Johannes, die später auf dem Tabor das ungeschaffene Licht seiner göttlichen Herrlichkeit schauen dürfen. Ausdrücklich soll niemand etwas davon erfahren – noch nicht, die Stunde dafür ist, wie auch auf dem Tabor, noch nicht da. Statt dessen sagt Jesus, „man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.“ So banal das klingen mag, so wichtig scheint mir eben dieser Satz. Jesus vertraut das Kind aufs Neue seinen Eltern an, die für sein Leben verantwortlich sind und es erhalten sollen.

Das Fest des Lebens

Wir alle sind in dieser Weise einander anvertraut, sind für das Leben unserer Schwestern und Brüder an Leib und Seele verantwortlich. Leben erschaffen können wir nicht, aber aufeinander achtgeben, einander zu essen und zu trinken geben, das können und sollen wir. Leben erschaffen können wir nicht, aber das müssen wir auch gar nicht: Gott tut es und schenkt es uns. Und Nachfolge bedeutet nicht, es ihm gleichtun zu wollen, oder es besser noch an seiner Stelle und am allerbesten ohne ihn zu tun – Nein! Nachfolge bedeutet, das Geschenk des Lebens einander zu erhalten. Da sind wir wieder bei der Lesung aus dem Buch der Weisheit: „Zum Dasein hat Gott alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt.“ Dabei geht es nicht bloß um irgendwelche Heilpflanzen, sondern um den Dienst, den wir alle einander aus dem Geschenk des Daseins heraus erweisen sollen.

Wir Menschen sind durch unsere Freiheit zu manchem imstande. Wir können anderen Menschen das Recht auf Leben absprechen und wir können es ihnen nehmen, so wie andere auch uns töten können. Wir können einander aber auch das Recht auf Leben und Dasein zusprechen, können einander stärken und schützen: „Es ist gut, dass du da bist!“ Jedes Fest, das wir feiern, ist Ausdruck einer solchen Daseinsbejahung, angefangen beim Geburtstag, den man nicht wirklich allein vor dem Spiegel feiern kann.

Die Daseinszusage Gottes feiern wir als Glaubende vor allem in der Eucharistie. Und der Herr, der seinen Kindern sich selbst zu essen gibt, will uns damit für ein Leben um jenes Lebens willen stärken, das Er allein schenken kann. Lassen wir Ihm allein auch die Herrschaft über das Leben. Wer das aus eigener Machtgier an sich reißen will, wird nur Tod und Verderben sehen, aber gewiss nicht die Wunder des Lebens, die der Herr auch in unseren Tagen wirkt. Helfen wir statt dessen einander als Gottes heilbringende Geschöpfe, das Geschenk des Lebens zu erhalten. Überlassen wir es Gott, das Reich Gottes zu errichten, für das kein Mensch zu Waffen und Brandsätzen greifen darf. Möge Seine Frohe Botschaft auch durch unser Leben in diese oft so dunkle Welt leuchten, die doch Gottes gute und geliebte Schöpfung ist und bleibt.

Amen.