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Weil ER dich braucht

15. Februar 2010

Ansprache zur feierlichen Profess von Br. Nikodemus am Pfingstmontag 2009 (1. Juni) von Abt Benedikt Maria Lindemann OSB

Lieber Br. Nikodemus, liebe Brüder, liebe versammelte Gemeinde!

Zweimal wirst du in dieser Stunde auf meine Fragen antworten: „Ich bin bereit.“ Beim dritten Mal wirst du sagen: „Mit Gottes Hilfe bin ich bereit.“

Jedesmal, wenn ich in der Gemeinschaft der Brüder eine Profess entgegennehmen darf, bete ich in Stille mit: „Mit Gottes Hilfe bin ich bereit.“ Denn was der heilige Benedikt im Prolog seiner Regel im Hinblick auf den Gehorsam sagt, gilt doch in fundamentaler Weise für den entscheidenden Moment der Feierlichen Profess, die endgültig das ganze Leben meint: „Weil aber unsere Natur nicht genug Kraft dazu besitzt, wollen wir den Herrn bitten, dass er uns die Hilfe seiner Gnade zukommen lasse.“ (V.41) Bereitschaft alleine reicht nicht! Gute Vorsätze alleine reichen nicht. Monastische Studien und hohe theologische Bildung allein reichen nicht. Die momentane Gesundheit allein reicht nicht. Dir, lieber Br. Nikodemus, und jedem deiner Brüder muss es unmissverständlich und bis in die Wurzeln deines Daseins klar sein: aus mir selbst heraus und meinen Kräften allein kann ich den Weg der Nachfolge Christi und der monastischen Hingabe an Gott nicht gehen! Und dennoch ist dein Jawort gefragt; und dennoch verlangt Gott von dir deine ganze begrenzte, fragile, wankelmütige, zittrige und zugleich herzerfrischend mutige Bereitschaft: „Ja, mein Gott, ja, meine Brüder, ja, ihr Zeugen alle: ich bin bereit, mit Gottes Hilfe bin ich bereit!“ Ist das nicht gerade bei aller menschlichen Schwäche beruhigend, dass du den Weg immerzu mit IHM gehst, der dich nie verlässt, der dich ins Dasein rief aus Liebe, und der dich zum Mönch auf den Zion beruft aus Liebe?! Nikodemus, der theologisch hoch Gebildete, der Grübler und auch mal Zauderer, der die Leute begeistert und temperamentvoll seine Meinung vertritt, der Jesus bei Nacht sucht, weil er vielleicht ganz zart und unwiderstehlich die erlösende Liebe aus seiner Botschaft hört und ihr antwortet. Nun antwortest du aus Liebe dem, der dich liebt.

Darum, Br. Nikodemus, trage ich dir ein Gedicht von Bertolt Brecht vor, und die, die dich gut kennen, werden verstehen, warum ich es für dich ausgesucht habe. Es ist

MORGENS UND ABENDS ZU LESEN

Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Dass er mich braucht.

Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte mich von jedem Regentropfen
Dass er mich erschlagen könnte.

Ausgehend von dieser seltsamen und betrachtungswerten Liebeserklärung möchte ich dir und uns Versammelten drei Haltungen mit auf dem Weg geben, die dir auf deinem und unserem gemeinsamen Weg Orientierung geben sollen: Dankbarkeit, Demut, discretio . Alle drei geistlichen Haltungen erkenne ich wieder in den wenigen Worten von B. Brecht.

Ohne grundsätzliche Dankbarkeit für das Leben und den persönlichen Lebensweg, wie schwer oder turbulent er auch immer war, oder wie viele bunte oder grau–dunkle Schattierungen er auch aufweist, kann ich keine Profess ablegen. Du antwortest dem aus Liebe, der dich liebt, sagte ich weiter oben. Deine Bereitschaft als Benediktinermönch auf dem Zion Gott dein Leben hinzugeben, ist Ausdruck dankbarster Liebe zu dem, der dich ins Leben rief und sagte: dich will ich, und ich will dich ganz. „Suscipe me, domine!“, ist dein antwortendes Liebeslied. „Der, den ich liebe, hat mir gesagt, dass er mich braucht.“ Ja, Christus braucht dich - nicht weil er dich nötig hätte! Er braucht dich in seiner Nachfolge, er braucht dich in guten und schweren Tagen, er braucht dich in Gesundheit und Krankheit, er braucht dich in Erfolg und Misserfolg, er braucht dich im Lachen und Weinen, in der Freude und im Trauern, er braucht dich als Zeuge seiner Frohen Botschaft vom Barmherzigen Vater im Himmel. Und er braucht dich und will dich als Mönch, als Benediktinermönch auf dem Zion, er braucht dich als Beter. Hüte dich davor zu meinen, dass er deinen Erfolg, deine intellektuellen Leistungen brauche, aber sei dankbar, dass er dir so viele Begabungen geliehen hat, die dein und das Leben der Gemeinschaft und der Kirche bereichern sollen und für die du eines Tages Rechenschaft ablegen wirst. Such und erinnere jeden Abend vor dem Schlafen in deinem Nachtgebet 5 Punkte, für die du Gott danken willst. Wenn du das wirklich jeden Abend tust, wird die Dankbarkeit allmählich zu deiner Haltung, die eine kostbare Frucht hervorbringen wird: den Frieden des Herzens. Der von Herzen Dankbare ist im Frieden, wo er auch steht, wie es ihm auch geht, sein Geist braucht nicht umherzuschweifen, er bringt sich ein und lässt sich führen vom Gespür, was der ganzen Gemeinschaft zum Frieden dient.

Die Dankbarkeit ist der Schlüssel für das, was einen Mönch wesentlich ausmachen soll: die Demut. Der Demütige weiß, wer er ist: Kind Gottes. Das Leben verdankt sich seinem Schöpfer. Sein göttliches Kind bist du, seine göttliche Würde macht dich menschlich. Keine deiner Fähigkeiten und Begabungen, aber auch keine deiner Begrenzungen und Schwächen sind zufällig. Sie sind dir gegeben, Br. Nikodemus, damit du an ihnen menschlich reifst und im Glauben wächst. Denn sie sind dir gegeben, dir allein, weil sie je auf ihre Weise dich auf den hinweisen, der dich liebt, der dich zu einem erfüllten Leben führen will. „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“, sagt einmal Dietrich Bonhoeffer. Leider hat das Wort Demut durch viel Missbrauch einen negativen Ruf. Doch wenn wir auf Jesus schauen, der von sich sagt, dass er demütig und sanft von Herzen ist, dann kann uns sein Beispiel ermutigen und die Demut im neuen, in ihrem wahren Licht erscheinen lassen. Die Demut ließ Jesus frei genug sein, den Sklavendienst der Fußwaschung an seinen Jüngern und insbesondere an seinem Verräter vorzunehmen und ebenso frei und gerade im Angesicht seiner Verfolger sagen: Ja, ich bin ein König. Demut bedeutet: Selbstkongruenz, Ruhen in sich, gesundes Selbstbewusstsein. Die Demut ist nicht laut, nicht rachsüchtig, niemals verzweifelt, nicht rechthaberisch , sie ist nicht kleinlich, sie ist nicht kriecherisch, sie ist unabhängig von Erfolgen und unabhängig von Misserfolgen . Sie ist, was sie ist, und sie ist es ganz. Die wahre Demut führt zu wahrer innerer Freiheit und Unabhängigkeit von Meinungen und Ansichten anderer. Der wahrhaft Demütige weiß um die Ehre, die die Liebe seines Schöpfers ihm gibt, und darum lässt er sich gebrauchen als Werkzeug seiner Liebe – worin immer auch der Dienst bestehen mag. „Der, den ich liebe, hat mir gesagt, dass er mich braucht.“ In dieser Stunde sagst du: mit seiner Hilfe bin ich bereit.

In einem Mysterienspiel lässt Hildegard von Bingen die Tugenden eine Tanz und Gesang vortragen. Sie alle sind prächtig gekleidet und besingen ihren Wert und ihre Schönheit. Zuletzt kommt die Demut in den Reigen. Sie ist mit einem braunen Gewand bekleidet. Doch allein sie trägt eine goldene Krone auf dem Haupt, und alle anderen Tugenden neigen sich tief vor der aufrechten Gestalt der Demut. Sie ist die wahre Königin der göttlichen Freiheit und Würde.

Die Tugend der Demut hilft dem Mönch zu dem notwendigsten Handwerkszeug geistlichen Lebens überhaupt: die discretio. Johannes Kassian schreibt in seinen Collationes, den Unterredungen der Väter : „Wir müssen alles daran setzen, das Gut der Unterscheidung durch die Tugend der Demut zu erlangen, so dass wir vor Übertreibungen nach beiden Seiten geschützt sind.“ Und zu unser aller anschaulichen Erläuterung fügt er hinzu: „Übertriebenes Fasten und Gefräßigkeit laufen letztlich auf das gleiche Ende hinaus. Denn wenn jemand durch übermäßiges Fasten geschwächt ist, wird er notwendigerweise in den Zustand zurückfallen, den der sorglos nachlässige Mönch niemals überschritten hat.“ (Die Gabe der Unterscheidung, S. 53) Johannes Kassian und Benedikt nennen die discretio , die Gabe der Unterscheidung der Geister, die Mutter aller Tugenden. Sie hilft, den rechten und für jeden einzelnen den ihm angemessenen Weg zu Gott zu finden. Für Benedikt ist das Kloster eine Schule für den Dienst des Herrn. Askese, die geistlichen und körperlichen Übungen, sind eine lebenslange Aufgabe. Das rechte Maß an Gebet und Arbeit, an Schweigen und Reden, an Essen und Fasten, an Schlaf, Erholung, Lesung sind den verschiedenen Zeiten und Umständen, den klimatischen und örtlichen Gegebenheiten oder klösterlichen Situationen anzupassen. Geistliche Übungen und Verzicht auf viele Annehmlichkeiten, die das Leben verschönern können sind kein Selbstzweck. Alles dient nur dem einen Ziel: „nichts höher (zu) stellen als Christus, der uns alle miteinander zum ewigen Leben führe.“ – Warum lege ich dir die Gabe der Unterscheidung so sehr ans Herz? Weil der, der dich liebt und den du liebst, dich braucht…. Lass dich von ihm in Gebrauch nehmen, schonungslos, radikal, ganz und gar, im Studium, in der Lehre, im Putzen des Rekreationsraumes, im Eifer des gemeinsamen und persönlichen Betens, in der Unauffälligkeit kleiner Dienste, in der Bemühung um Pünktlichkeit, in der Freude an der Gemeinschaft! Sei auch in dieser Hinsicht wachsam für dich und andere: nicht alles, was äußerlich nach Tugend aussieht, nach Demut, Armut, Bescheidenheit oder auch Nächstenliebe, ist es auch. Absichtslosigkeit ist ein wichtiges Beweismittel und hilft, die Geister zu unterscheiden. Und das Lachen über sich selbst sowie die Generosität mit den Schwächen und auch Fehlern der anderen - auch das gehört zur Frucht der discretio. Ja, Br. Nikodemus, gib dich dem ganz und gar hin, den du liebst. Doch gerade deshalb sage ich dir ebenso deutlich mit den Worten von B. Brecht – und du wirst mich in diesem Zusammenhang gut verstehen: „Darum gebe ich auf mich Acht, sehe auf meinen Weg, und fürchte mich von jedem Regentropfen, dass er mich erschlagen könnte.“ – Weil ER dich braucht, Nikodemus !

Lieber Br. Nikodemus, die Liebe zu Gott, und wie du sie lebst, muss man als Mönch nicht jedem erklären können, weil du es auch im letzten nicht kannst. In deinem Spruch zur Profess drückst du es ehrlich und ungeschminkt aus: „Du hast mich betört, oh Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt.“ Auch dir selbst wird es ein Geheimnis bleiben, warum du diesen Weg gewählt hast, denn in Wahrheit hat Gott dich gewählt. Nur Ablesen werden es die Menschen an dir und deinem Verhalten, an deiner Ausstrahlung, ob es echt ist. Deine Liebe bleibt dein Geheimnis. Bewahre es dir und lebe es. Es ist schön! Du bist nicht allein auf deinem Weg. Mit dir sprechen deine Brüder: „Ja, Herr, ich bin bereit; mit Gottes Hilfe bin ich bereit!“

Abt Benedikt M. Lindemann OSB