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Ein Hauch von Realität?

19. Februar 2023

„Noch einmal die Bergpredigt: herausfordernde und bekannte Worte, irgendwie so fern von allen Regeln dieser Welt. Wie geht es den Menschen in der Ukraine, in Syrien, in Israel und Palästina und in anderen Brennpunkten dieser Welt gerade jetzt, wenn sie diese Worte hören: ‚Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen?‘ Ist in diesen Worten auch nur ein Hauch von Realität? Und wie geht es mir mit der Radikalität Jesu? Ist in meinem Leben etwas davon umsetzbar? In dem heutigen Evangelium gibt es für uns mehr Fragen als Antworten. Die Worte der Bergpredigt eine Zumutung.

Jesus bestätigt mit seinem ‚Ich aber sage euch‘ die Überlieferung der hebräischen Bibel, ja, er radikalisiert und verschärft sie - das ist seine Reich Gottes Botschaft für seine Jüngerinnen und Jünger und auch für uns. Das Überlieferte ist Gebot Gottes und soll uns helfen, miteinander in Frieden zu leben. Manche Forderungen Jesu sind bewusst provozierend, wenn er zum Beispiel sagt: ‚Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen.‘ Jesus will uns herausfordern, seinen Weg mitzugehen und seine Überzeugung zu teilen und lebbar zu machen. Ich finde die Vorstellung beeindruckend, dass ein Mensch damit wirklich ernst macht, sogar wenn es um Leben und Tod geht. Gerade weil wir am Leben hängen, wissen wir, wie schwierig das ist. Wenn jemand die Haltung Jesu umsetzt, zeigt er, dass er davon überzeugt ist, dass es für Gottes Liebe keine Grenzen gibt. Maßstab unseres Handelns soll die Barmherzigkeit Gottes sein, nicht einmal der Hass der anderen kann Gottes Liebe dann aufhalten.

Manche von uns werden sich an den Terroranschlag von Paris am 13. November 2015 erinnern. Bei den Terroranschlägen im Bataclan wurde Helene, die Frau von Antoine Leiris getötet. In einem offenen Brief auf Facebook wendete sich Antoine wenige Tage später an die Täter: „Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid, und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die den Körper meiner Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben. Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr es darauf angelegt habt; auf den Hass mit Wut zu antworten, würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Meinen Hass bekommt ihr nicht“. Dieses Zeugnis geht unter die Haut. Ich weiß nicht, ob Antoine Leiris ein Christ ist, aber er ist für mich ein Vorbild. Er zeigt, dass es möglich ist, was Jesus fordert, und er setzt es konkret um.

Hass und Gewalt sollen nicht eskalieren, sondern eingedämmt werden. Die Verhältnismäßigkeit soll gewahrt werden. Das hat viel mit einer vernünftigen Sicht auf den Menschen und auf die Realitäten dieser Welt zu tun. „Auge für Auge“ sagt nichts anderes, als dass Gewalt nicht zur Katastrophe werden und zum Untergang führen darf. Hört das einer, der sich Christ nennt und schon über ein Jahr einen radikalen Angriffskrieg austrägt, ohne irgendeine Bereitschaft zu zeigen, diesem Morden und Zerstören ein Ende zu bereiten? Die Herausforderungen Jesu sind das eine, aber die Annahme und der Versuch einer Umsetzung, das ist der Knackpunk.

Feindesliebe bedeutet gewiss nicht, sich anzubiedern oder zu unterwerfen; es heißt gewiss nicht Grausamkeit hinzunehmen, ohne sich zu wehren und den Verfolgten zur Seite zu stehen. Aber es bedeutet zu sehen, dass auch unsere Feinde Menschen sind wie wir: fehlerhaft, verängstigt, irrend, gebunden an Interessen und Vorurteilen.

Um uns herum tobt eine Welt, die von Krieg und Tyrannei, von Hass und Elend gezeichnet ist. Wir wollen eine andere Welt. Wir wissen, dass Gott uns eine andere Welt bereithält. Und dazu brauchen wir die prophetischen Worte Jesu. Sie sollen uns im Herzen treffen. Die Worte von der radikalen Feindesliebe haben einen Ankerpunkt – und das ist das Leben und Sterben Jesu selbst. An ihm sehen wir, dass er mit seiner bedingungslosen Hingabe an die Welt und ihren Realitäten die Absicht Gottes für uns Menschen zur Vollendung gebracht hat. Als Christen haben wir uns auf diesen Weg eingelassen. Wir sind keiner Illusion verfallen, sondern glauben an die Stärke der Macht der Liebe, die den Hass überwindet.“

Pater Jonas und alle Brüder in Tabgha und Jerusalem wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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