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Bei Dir muss ich heute zu Gast sein

30. Oktober 2016

Ein Maulbeerfeigenbaum bei Ashkalon (Foto: By Ian Scott (Sycamore Tree - C) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons) Ein Maulbeerfeigenbaum bei Ashkalon (Foto: By Ian Scott (Sycamore Tree - C) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons)

Predigt von Pater Prior Basilius am 31. Sonntag im Jahreskreis in Tabgha (30. Oktober 2016)

Liebe Schwestern und Brüder,

das Evangelium lenkt unseren Blick heute auf den Zachäus. Er ist nicht einmal nur ein „einfacher“ Zöllner, wie er uns am vergangenen Sonntag begegnet ist. Jener Mann, der sich beim Gebet im Tempel noch nicht einmal getraut hatte aufzublicken, sondern sich nur schuldbewusst an die Brust schlug und um Gottes Gnade und Erbarmen flehte.

Nein, Zachäus ist der oberste Zollpächter in Jericho. Und entsprechend groß ist die Bühne, entsprechend pointiert und trickreich ist die Erzählung, mit der uns Lukas von Zachäus und seiner Begegnung mit Jesus erzählt.

Zachäus ist anscheinend ein neugieriger und durchaus offener Mensch. Einer, der sucht. Zwar hat er schon viel, wird als sehr reich beschrieben. Ruhiggestellt ist er damit aber nicht, irgendetwas fehlt ihm und treibt ihn an.

Wir – und unser Weg zum Heil

Blicken wir auf das Ende der Geschichte und blicken wir mit der biblisch-christlichen Brille auf den Zachäus, dann wissen wir, dass ihm Erfüllung und Heil fehlen. Ein materiell reiches Leben muss noch lange kein wirklich reiches und gutes Leben sein. Die Wege zu einem guten Leben sind vielleicht im letzten so verschieden wie die Menschen selbst verschieden sind. Aber an einer Stelle kreuzen sich diese Wege alle, heute an jenem Maulbeerfeigenbaum in Jericho. Denn alle Menschen sehnen sich auf ihre Weise nach Heil und Heilung.

Und so wird die Erzählung über den Zollpächter Zachäus zur Modellerzählung auch über uns und über unsere Wege zu Heil und Heilung, über unseren Weg eines guten und wahren Lebens.

Was aber ist Heil und Heilung eigentlich? Was ist wirklich gut für uns? Was macht unser Leben gut und richtig? – Das zu erkennen und zu sehen, ist gar nicht so einfach. Sonst würden wir vermutlich alle schon ein besseres Leben führen

Was uns in uns daran hindert, das Heil zu erkennen: Wir sind „zu klein“

Auf unser Evangelium übertragen: Wir sind zu klein, um zu sehen, woher uns Heil kommen kann. – Dabei ist „Klein-Sein“ sehr schillernd.

Denn wir sind zum Beispiel auch dann „zu klein“, wenn wir selbst uns zu groß machen. Wenn wir so sehr von unserem Ego getrieben und überzeugt sind. Wenn wir wie der kleine Zachäus materiell vielleicht sehr reich sind, über Macht und Einfluss verfügen, und sehr von uns überzeugt sind. Wenn wir glauben, alles alleine zu schaffen… Am Ende aber berauben wir uns damit vieler Chancen im Leben, das dann schrumpft und verkümmert und uns klein, zu klein zurücklässt.

Aber wir können auch „zu klein“ sein, weil wir uns klein machen. – Wir Menschen neigen sehr dazu, uns mit den anderen zu vergleichen. Die sind dann besser und netter, erfolgreicher in Beruf und Beziehungen, klüger, schöner und glücklicher, die haben es besser und leichter im Leben, müssen mit weniger Sorgen und Fragen und Problemen zurechtkommen… Die anderen: gut und stark und groß, und wir schwach und klein. Wir kommen einfach zu kurz im Leben.

Und so können wir auch „zu klein“ sein, weil uns alles über den Kopf wächst. Weil wir uns ständig Sorgen machen, vieles schwarz und negativ sehen. Überall scheinen Probleme und Krisen zu sein, und in unseren Lähmungen und Ängste erleben wir uns selbst als klein.

Der Blick nach vorne, der Blick auf Heil und Heilung ist dann schwer. – Aber auch dann, wenn es uns so geht, wie wahrscheinlich dem Zachäus, der gehört hat, dass da ein besonderer Mann in die Stadt kommt, selbst dann können wir nicht immer erkennen, was uns Heil und Heilung bringen kann.

Was uns von außen daran hindert, das Heil zu erkennen: „die Anderen“

Offenbar war Jesus schon ein Ruf nach Jericho vorausgeeilt. Auch Zachäus hat davon gehört. Und er will diesen Mann sehen, von dem da gesprochen wird. Aber er ist eben zu klein, um über die Menschenmassen hinwegzusehen.

Mit anderen Worten: Auch wenn wir selbst in unserer Kleinheit wach werden und eine Sehnsucht nach Heil und Heilung verspüren, dann kann es sein, dass wir es nicht erkennen können, weil uns „die Anderen“ den Blick versperren.

Die „Anderen“. – Das klingt schon ein bisschen nach Ausrede.

Die „Anderen“, das kann vielleicht die Gesellschaft mit ihren Normen und Regeln sein, ihren Rollen und Erwartungen, die uns gewissermaßen einkesseln.

Die „Anderen“, das können auch einfach die Umstände unseres Lebens sein, wie wir sie wahrnehmen, und von denen wir annehmen, dass wir nichts daran ändern können, die uns aber Luft und Sich nehmen. Die anderen, die größer sind als wir…

Was wir tun können, um das Heil zu erkennen: Auf einen Baum klettern

Was wir dann tun können, wenn wir zu klein und die anderen zu groß sind, wir aber trotzdem Heil und Heilung sehen und erfahren wollen, das macht uns Zachäus vor: Wir müssen auf einen Baum klettern.

Damit erkennt Zachäus zum einen seine eigenen Begrenzungen wie auch die äußeren Umstände an. Zugleich findet er aber einen cleveren und kreativen Weg, um beides im wahrsten Sinne zu übersteigen:
Er klettert auf den heute berühmtesten Baum in Jericho, und lässt so auch die Anderen mit ihren Vorstellungen und Vorurteilen und Erwartungen hinter sich und unter sich. Offen und kreativ stellt er sich seiner Situation, wagt neue Perspektiven und bekommt so einen neuen Überblick. – Dank eines Baumes.

Ich glaube, auch wir können für andere ein solcher Baum sein, können ihnen helfen, über ihren Tellerrand hinauszublicken. Und andere können auch ein solcher Baum für uns sein. Vielleicht steht ein solcher Baum schon in unserer Nähe, in einer anderen Person, in einer anderen Sichtweise auch auf unser Leben… Und wir müssten uns nur trauen… Vielleicht sitzen wir schon auf diesem Baum und merken es noch nicht.
Wem solche Menschen schon begegnet sind, der denke in Dankbarkeit an sie! Wem noch nicht, dem wünschen wir solche Baummenschen.

Den sehen und erkennen, der uns schon längst ansieht

Und nun, wenn unser Zachäus auf dem Baum sitzt, kann auch der kleine Mann über die Anderen hinwegsehen und hat freie Sicht auf Jesus, der sich dem Maulbeerfeigenbaum nähert. Was dann geschieht, wenn Zachäus den sieht, den man nur scheinbar altmodisch auch den „Heiland“ nennt, was geschieht, wenn wir das Heil sehen: Blickkontakt! Es geschieht Blickkontakt!

Wenn wir auf einen „Baum“ steigen, unsere alte Perspektiven – die Vorurteile, Ängste, Gewohnheiten und Oberflächlichkeiten – hinter uns lassen und wenn wir unser „altes Leben“ einmal quasi unter uns lassen, dann merken wir vielleicht, dass uns Einer schon längst ansieht…

Vielleicht ist das die einfachste Formulierung der Botschaft des Heiligen Landes: Da ist Einer, der Dich ansieht. Dich! – Aus den Augen des Kindes in der Krippe von Bethlehem, aus den Augen des Mannes, der Fische und Brote teilt, aus den Augen des Mannes mit der Dornenkrone, aus den Augen des Mannes im Garten am Ostermorgen…

Und aus den Augen des Mannes unter unserem Baum. Und er spricht: „Ich muss bei Dir zu Gast sein!“

Ein sehr einfacher Satz, der aber die Kraft hat, im Folgenden ein ganzes Leben zu ändern, ein neues Leben zu ermöglichen. Heil und Heilung eben. Das ist eine der Facetten des Osterglaubens: neues Leben. Und zwar neues Leben schon in dieser Welt unter den Vorzeichen des Reiches Gottes. Heute, heute muss ich bei dir Gast sein.

Ich muss bei Dir zu Gast sein!

Auch als getaufte und gefirmte Christen, als nachösterliche Menschen fällt es uns trotzdem oft schwer, als österliche Menschen zu leben (auch Ordensleute und Priester machen da keine Ausnahme): Wir sind klein, oder kommen uns klein vor oder werden klein gemacht. Wir kennen unsere Sünden und Macken und Grenzen. Wir ringen mit dem Leben und seinen Widrigkeiten. Wir nehmen wahr, wo und wie man uns die Sicht versperrt in unserem Leben… Wo dann Heil und Heilung zu finden sind, wo wahres und neues Leben ist, das erkennen wir dann nicht immer.

Gerade in solchen Momenten aber kann uns das Zachäus-Evangelium guttun: Ja, wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass wir durchaus klein sind. Und wir dürfen dazu auch „Ja“ sagen. Stehenbleiben sollten wir aber dabei aber nicht, sondern wie Zachäus vorauslaufen, den nächsten Baum suchen und hochklettern… Und: sich anschauen lassen.

Und immer, immer wieder dürfen wir uns diesen Satz sagen lassen: Ich muss bei Dir zu Gast sein! – Ich. – Bei dir. – Gast. – Ich bei Dir. – Gast. – Bei dir!

Liebe Schwestern und Brüder, Jesus selbst ist der Gastgeber unseres Lebens und gleichzeitig ist Er der große Gast des Festes unseres Lebens. Und das heute schon! Heute! Zweimal kommt es im Text vor. Was dann geschehen kann – wenn wir es zulassen –, sind Umkehr, neue Perspektiven Neuaufbrüche wie bei Zachäus. Mit anderen Worten: Heil und Heilung, neues und wahres Leben.

Der Evangelist Lukas erzählt so mit der Geschichte über den obersten Zollpächter Zachäus auf sehr intelligente und trickreiche Weise, durchaus humorvoll und mit Augenzwinkern auch über uns Menschen, unsere Gesellschaften und ihre Vorstellungen. Lukas erzählt darüber, wie Gott mit alldem umgeht, und vor allem, wie das Heil auch zu uns in unser Haus kommen kann.

Liebe Schwestern und Brüder, ich lade Sie für die nächsten Tage herzlich ein: Wenn Sie morgens wach werden, wenn Sie zum ersten Mal durch eine neue Tür gehen, wenn Sie einen besonders großen oder schönen Baum sehen, wenn Ihnen ein neues Gesicht begegnet, wann immer Sie in dieser Woche eine Christus-Ikone sehen… lassen Sie sich neu den Satz sagen: Ich muss bei Dir zu Gast sein.