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Denn eure Erlösung ist nahe!

02. Dezember 2018

Weihnachtssterne am Adventshimmel von Tabgha. Weihnachtssterne am Adventshimmel von Tabgha.

Predigt von Pater Basilius am Ersten Adventssonntag, 2. Dezember 2018, in der Brotvermehrungskirche/Tabgha

Liebe Schwestern und Brüder,

„Advent“, das bedeutet „Ankunft“, das wissen wir. Die meisten von uns feiern ja nicht zum ersten Mal Advent.

Und für Viele werden sich mit dem Stichwort „Advent“ sicher auch schöne Erinnerungen verbinden. Bei allem Advents- und Weihnachtsstress, der uns alle Jahre wieder überkommen mag, wohnt dieser Zeit doch auch immer wieder Zauberhaftes und Bergendes inne. Wir schmücken unsere Kirchen, Häuser und Straßen, zünden viele Lichter an, denken an Menschen, die uns wichtig sind.

Ankunft und Abschied

Alleine, unser heutiges Evangelium mag dazu nicht so wirklich passen. Diese Verse aus dem Lukasevangelium sind nicht wirklich schön und geborgen. Sie klingen überaus brutal, verstörend und chaotisch. – Da geht es um das Ende, ein hartes Ende.

Wenn Advent Ankunft bedeutet, dann erinnert uns Lukas heute daran, dass die Ankunft des Einen oft auch mit dem Abschied vom Anderen verbunden ist. Nichts, gar nichts bleibt in diesem Evangelienabschnitt so, wie es einmal war.

Vom Ende in unserem Leben

Die Zeichen, die am Himmel erscheinen, die gibt es aber auch in unserer Zeit immer wieder:

In diesem Sommer haben wir die Bilder der Flugkatastrophe von Rammstein vor 30 Jahren wieder in den Nachrichten gesehen: Feuerbälle am Himmel, die auf dem Boden Leben verwundet und vernichtet haben. Für viele, viele Menschen war von einem auf den nächsten Tag alles zu Ende, ihr bisheriges Leben verloren, für immer verändert.

Denken wir an die verheerenden Brände dieses Jahres, in denen nicht nur die Reichen und VIPs ihre Prachthäuser verloren haben. Wie ein Donner zogen die Feuerwände durch das Leben so vieler Menschen.

Ganz zu schweigen vom Donner und Beben der Bomben und Raketen der Kriege auch unserer Tage. Nicht weit von hier. Nur weniger Kilometer nach Osten und Norden. Auch in dieser Woche haben wir wieder einige Einschläge gehört und gespürt. – Die Kräfte der Gesellschaften hier im Nahen Osten, die Kräfte im Leben der einzelnen Menschen, sie sind so oft bis ins Mark erschüttert.

Die Bilder aus dem Evangelium, sie waren und sie sind sehr konkret Realität im Leben vieler Menschen.

Aber mehr noch: Sie sind auch Bilder für so viele Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, ohne dass wir mitten in einer Flugzeugkatastrophe stecken, unser Haus im Feuer verlieren oder gar in einem Kriegsland leben müssen.

Gewalt und Erschütterungen, Zeichen an den Dingen, die uns bis dahin so selbstverständlich gewesen waren, die kennen wir auch in unserem persönlichen Leben aus unseren Familien, Beziehungen und Gemeinschaften, aus unserem persönlichen und beruflichen Leben: Manchmal scheint alles zusammenzubrechen oder auseinanderzubrechen.

Vieles scheint zu Ende zu gehen

Und wir können noch einen Schritt weiter gehen: Solche großen, schwer deutbaren Zeichen, die Bisheriges in Frage stellen, denen einen gewisse Gewalt und ein drohendes Chaos zu eigen ist, die scheinen wir gerade in unserer Zeit einmal mehr und durchaus heftiger in unserer ganzen Welt zu erleben, in unseren Gesellschaften und auch in der Kirche:

So vieles gerät in Bewegung, so vieles verliert seine bisherigen Selbstverständlichkeiten.

So vieles scheint zu Ende zu gehen.

So vieles scheint einem Abschied entgegenzugehen.

Auch in unserer Kirche.

Trauer, Angst und Wut

Und Abschied nehmen wir weder gerne noch leicht. Trauer ist da noch eine der harmlosesten Reaktionen, und zugleich auch die menschlichste und die wichtigste. Ich glaube, dass in unserem persönlichen Leben, aber auch in unseren Gesellschaften in Welt und Kirche eine ehrliche und offene Abschied- und Trauerarbeit noch deutlich mehr Raum verdient. Gegen alle Verdrängung, Übertünchung oder Ignorierung.

Doch ein bevorstehender Abschied macht auch Angst. – Und diese Angst erleben wir Tag für Tag, wenn wir die Nachrichten sehen und politische Diskussionen verfolgen. Angst ist kein guter Ratgeber im Abschied, sie macht eng und verschlossen, baut Mauern und Zäune, nimmt die Luft zum Atmen, frisst die Seele auf.

Schlimmer noch, wenn die Angst sich steigert und selbst nährt und aufbläht. Denn dann schlägt sie um in Wut. Und was ehedem stabil und sicher zu sein schein, wird nur noch anfälliger und unsicherer und verursacht noch mehr Trauer, Angst und Wut.

Richtet euch auf!

Liebe Schwestern und Brüder, die allerwenigsten von uns sind davor wirklich geschützt. Und zunächst einmal sagt uns das Evangelium an diesem Ersten Adventssonntag auch nichts anderes und gegenteiliges: Solche Erfahrungen gehören dazu zum Leben. Sie kommen. Unweigerlich.

Den Rat Jesu, nein, Seine strikte Anweisung in solchen Fällen könnte kein moderner Psychologe oder Psychotherapeut besser formulieren: sich nicht die Perspektive und den klaren Blick nehmen lassen.

Nicht durch Rausch und Trunkenheit, also hemmungslosen Genuss des Lebens, und nicht durch die Sorgen des Alltags, also allzu selbstverliebte Problematisierung des Lebens. Wach sein, der Situation mutig und ruhig ins Auge schauen, sie annehmen.

Denn solche Erfahrungen gehen zum Leben dazu, auch zum Leben Jesu, des Gottes- und Menschensohnes. Sich ihnen nüchtern und wach, betend und offen gegenüberzustellen, darum geht es. Denn nur wer das kann, der wird auch den Kommenden erkennen können. Nur der wird den Advent erfahren können.

Denn eure Erlösung ist nahe!

Denn in all dem, was uns so zustoßen kann, und was Jesus im heutigen Evangelium in so drastischen Bildern formuliert, glimmt ein Funke auf. Die Flamme an der ersten Kerze, die ersten Sprossen in der sonst toten Wüste, ein Neugeborenes in einem kleinen Winkel der Weltgeschichte.

Doch wir müssen uns der Dunkelheit stellen, sonst erleben wir den Kerzenschein nicht.

Wir müssen barfuß auf den heißen Wüstensand hinaus, sonst werden wir die neuen Blüten nicht entdecken.

Wir müssen der Wahrheit der eigenen Sterblichkeit ins Auge sehen, sonst werden wir das Geheimnis und das Geschenk der Menschwerdung Gottes nicht erfahren.

Nur wer Dunkelheit und Wüste und Tod annimmt, nur wer Abschied nehmen kann, nur der wird dem Kommenden begegnen, nur der erfährt wahren Advent.

Ohne Abschied stehen wir in der Gefahr, bei romantischen Erinnerungen und alten Bildern stecken zu bleiben.
Denn gerade denen, die in Dunkelheit und Wüste und Tod stehen, ruft Jesus ja heute zu: „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe!“

Weil es im Advent um unsere Erlösung geht

Es geht um unsere Erlösung, wenn Er kommt, der Gottes- und Menschensohn. Ankunft des Heiles, Herrschaft der Gerechtigkeit, Reich des Lichtes und der Liebe. Ankunft. Advent.

Es geht dabei immer um die doppelte Ankunft: Um die Ankunft des Herrn am Ende der Zeiten. – Was immer das bedeuten kann: am Ende der Zeiten überhaupt und/oder am Ende „unserer Zeiten“. – Und um die Ankunft des Herrn in dieser Zeit als Kind und Mensch.

Denn dieses Kind in der Krippe von Bethlehem, zu dem wir ab heute wieder unterwegs sind, dieses Kind teilt alles, was wir als Menschen sind und haben, wird unser Fleisch und Blut. Und genau das gibt ER uns auch wieder: Sein Fleisch und Blut, Sein Leben, unser Leben in seiner ganzen Lebendigkeit und Endlichkeit.

Und das sollen wir annehmen, dieses unser Leben, auch mit allen Abschieden und Veränderungen und Einstürzen, denn es gehört dazu, Er selbst hat es uns gezeigt.

Annehmen. Frei sein. Aufstehen.

Eine Szene aus der zurückliegenden Woche mag das ein bisschen illustrieren: Seit dieser Woche kennt die Welt den siebenjährigen Wenzel, Sohn italienisch-argentinischer Eltern. Wenzel lief bei der Papstaudienz am Mittwoch auf die Bühne, sah sich Papst Franziskus und vor allem die Schweizer Gardisten aus nächster Nähe an.

Wenzel, so erklärte später sein Vater, sei sprachbehindert. Zuhause bei seiner Familie in Verona versuche man, ihm alle Freiheit zu lassen, damit er sich dennoch ausdrücken könne. „Wir versuchen, ihn frei sein zu lassen“, wird der Vater zitiert, und weiter: „Er muss sich ausdrücken, und wir leben, ohne seine Probleme zu verstecken.“

Probleme nicht verstecken, sie annehmen, das Ungewohnte und Unerwartete vielleicht zulassen.

In diesem Sinne möchte ich uns allen, liebe Schwestern und Brüder, das Statement von Papst Franziskus zum kleinen Wenzel als Wunsch für diese Adventstage und die Zeit darüber hinaus mit auf den Weg geben, damit wir, wo nötig, Abschied nehmen können, und Neues auch bei uns und in unserem Leben ankommen kann.

Der Papst kommentierte den Besuch von Wenzel mit folgenden Worten:
„Er hat etwas, das mich zum Nachdenken gebracht hat: Er ist frei. Auf undisziplinierte Weise frei, aber er ist frei.“