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Die Arme öffnen für den, der da kommen soll

01. Februar 2009

Predigt von Abt Benedikt Lindemann OSB in der Vesper zum 1. Adventssonntag 2003 (30.11.03) zur Eröffnung der Vertretung St. Godehard / Hildesheim

Lesungstext: Apg 1,3-13

Nach seinem Leiden hat Jesus seinen Aposteln durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen. Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft. Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen. Dann kehrten sie vom Ölberg, der nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben.

Predigt

Lieber Bischof Josef,
liebe Schwestern und Brüder,

Sie haben schon recht: Normalerweise hören wir diese ersten Verse der Apostelgeschichte doch zu Christi Himmelfahrt. Am ersten Advent aber kommen sie uns eher fremd vor. - Lassen Sie uns dennoch einige Schlaglichter auf den Text werfen, und Sie werden sehen, dass der Text mehr mit Advent zu tun hat, als man auf den ersten Blick vielleicht annehmen würde. Da sind zunächst die Jünger Jesu: Nach Jesu grausamen Tod am Kreuz sind sie hilflos, ohne Orientierung und ohne Perspektive. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie ihnen zu Mute ist: Sie haben einen geliebten Menschen verloren, der ihrem Leben eine ganz neue Richtung und Mitte gegeben hat - so wie ein Neugeborenes das Leben seiner Eltern bestimmt und verändert. Nun aber ist diese Richtung und Mitte ihres Lebens ausgelöscht. Was bleibt, sind Leere und Finsternis. Und dann heißt es fast beiläufig im ersten Vers unserer Lesung:

"Nach seinem Leiden hat Jesus seinen Aposteln durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen."

- Wohl eine der nüchternsten und technischsten Formulierungen, mit denen die Bibel von der Auferstehung Jesu spricht: Er hat ihnen gezeigt, dass Er lebt. - Keine Engel, keine weißen Tücher, kein Stein. - Er lebt. Punkt. - Er, den sie doch am Kreuz haben sterben sehen - der eine von näher, der andere von weiter her, weil er Angst hatte - Er lebt.

Welche Hoffnung das in den Jüngern aufsteigen lässt, können wir an der nur allzu verständlichen Frage erkennen:

"Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?"

Wird jetzt alles gut? Machst du alles wieder heil? Jetzt? - Die Antwort Jesu erscheint schroff und abweisend, wie ein genervter Vater seinen Kindern gegenüber:

"Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren!"

Das geht euch nichts an! Lasst mich nur machen!

Aber das ist nur die erste Hälfte der Antwort, denn dann heißt es:

"Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde."

- Schwestern und Brüder, was der Auferstandene da seinen Jüngern und damit auch uns in die Hand gegeben hat, ist der Auftrag, dass wir Kirche sein sollen, und ist die Zusage, dass wir Kirche sein dürfen, in Jerusalem und in ganz Judäa und in ganz Samarien bis an die Grenzen der Erde.

Dann, so berichtet die Apostelgeschichte, wird Jesus vor den Augen der Jünger emporgehoben und eine weiße Wolke nimmt Ihn auf. Himmelfahrt nennen wir das und beschreiben damit die Erfahrung, dass der Auferstandene nicht mehr so unter uns lebt wie unser Nächster; dass Er lebt, aber anders. Er lebt, aber nicht mehr so, dass man ihn in die Arme nehmen könnte; man kann ihn nicht mehr festhalten. Man kann nur auf seine Rückkehr warten:

"Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen."

- So geben die Männer in den weißen Gewändern den Jüngern bescheid. Die Jünger kehren nun in die Stadt Jerusalem zurück, wo sie betend den verheißenen Heiligen Geist erwarten und empfangen - Pfingsten - und von wo aus sie in froher Hoffnung und Erwartung und mit dem Heiligen Geist getauft in alle Welt ziehen und Zeugen der Frohen Botschaft des Auferstandenen sind.

Das, liebe Schwestern und Brüder, das zeichnet die Urgemeinde von Jerusalem aus: Die Begegnung mit dem wahrhaft Auferstandenen und die Gewissheit, dass das Leben und dass die Liebe stärker sind als der Tod. Und so leben die ersten Christen in der sicheren Hoffnung, dass der Herr wiederkommen wird, bald, um sein Werk zu vollenden und tatsächlich alles wieder gut zu machen. - Das, liebe Schwestern und Brüder, auch das ist Advent: Die Arme öffnen für den, der da kommen soll.

Dabei fällt es uns alles andere als leicht, die Arme zu öffnen und das, was wir in unseren Händen und Armen halten loszulassen. Und wir alle stehen in verschiedenen Prozessen von Wandel und Veränderung, mitunter massiver Veränderung. Ich brauche da nicht einmal auf die Situation im Heiligen Land zu schauen, wo es beiden Konfliktseiten gut täte, die Arme zu öffnen, damit Waffen und festgefahrene Vorstellungen zu Boden fallen, um dann offen auf den anderen zugehen zu können. Sie erleben es ja auch hier in Deutschland im politisch-gesellschaftlichen und sozialen Bereich nicht weniger als im kirchlichen Bereich. Die Probleme und Fragen, die derzeit die Diözese Hildesheim beschäftigen, die dich, lieber Bischof Josef, und deine Mitarbeiter und sie, liebe Schwestern und Brüder aus der Stadt und der Diözese, beschäftigen, die mögen deshalb auch gerade im Advent ihren Platz im Gebet vor dem Herrn haben, geht es doch im Advent um die Vorbereitung auf das Fest der Menschwerdung unseres Herrn. Und das heißt auch: Um die konkrete Gestalt von Kirche. Nicht irgendwelche klugen Ideen davon, wie wohl Kirche aussehen könnte, sondern: So wie Gott ganz einfach Mensch wurde, Kind wurde in einem Futtertrog in Betlehem, so soll und darf Kirche ganz konkret werden, einfach und alltäglich. Denn:

Das Wort ist Fleisch geworden! (Joh 1,14).

Und das Wort ist Fleisch geworden. - Schwestern und Brüder, meine Brüder, die nun in unserer Vertretung hier in Hildesheim ihren Dienst tun, und ich, wir kommen aus dem Land, das wir das Heilige Land nennen und in dem sich das alles zugetragen hat: Das Wort ist Fleisch geworden, Kind in der Krippe von Betlehem. Er hat unter uns gewohnt, in allem uns gleich, außer der Sünde. Und Er hat unsere Sünden hinaufgetragen bis ans Kreuz auf Golgotha, hat Tod und Hölle überwunden und hat Seinen Jüngern durch viele Beweise gezeigt, dass Er lebt. Das ist mehr als eine bloße Idee: ER LEBT. Jenseits all unserer Vorstellungen und doch gerade mitten darin. ER LEBT. - Davon geben wir Mönche Zeugnis. Wir verzichten auf Familie und Eigentum, lassen den Rhythmus von Gebet und Arbeit unseren Alltag bestimmen, wir suchen Gott - als Einzelne und als Gemeinschaft. Das Leitbild des heiligen Benedikt war die Urgemeinde von Jerusalem und damit das Leben in der sicheren Hoffnung, dass der Herr wiederkommen wird, um sein Werk zu vollenden und alles wieder gut zu machen. - Wir suchen Ihn, Der lebt. Dafür stehen wir als Mönche ein, zumal als Mönche aus dem Heiligen Land und vom (heiligen) Berge Zion, wo die ersten Christen gelebt haben. - Kurz: Wir versuchen, nach dem Evangelium zu leben, nicht besser als sie, liebe Schwestern und Brüder, aber vielleicht doch anders. Deshalb sind wir Mönche noch lange keine Heiligen, weit gefehlt. - Gerade im Klosterleben muss man oft schmerzhaft erfahren, wie sehr man an vielen Dingen festhält, anstatt die Arme weit zu öffnen für den, Der da kommen will. Der da kommt als Kind. Und angesichts dieses Kindes in der Krippe von Betlehem kann all unser Mühen nur scheitern, können wir nur scheitern. Könnten wir scheitern, wenn nicht Er selbst am Kreuz die Arme weit, sehr weit für uns schwache Menschen ausgebreitet hätte.

Das Kind in der Krippe, das mit seinen weiten Augen nach unseren Händen und Armen fragt, die es schützen und pflegen, und der Leidende am Kreuz, Der unsere Sünden und Schwächen trägt und Der uns vor dem Bösen in der Welt schützen will, sie sind der Grund unserer Hoffnung. Als Christen leben wir für ihn, weil er für uns gestorben ist. Unsere Hoffnung ist, dass Er alles wieder gut, alles wieder heil machen wird.

Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen. Uns steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren. Aber wir sind mit dem Heiligen Geist getauft und so dürfen wir Seine Zeugen sein, in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samarien, in St. Godehard, in Hildesheim. Weil Er kommt, wie ein Kind: klein und hilflos und schutzbedürftig. Und weil Er lebt. Und weil Er wiederkommen wird. Das ist kein frommer Optimismus; das ist unser von Hoffnung erfüllter Glaube.

Meine Brüder, die hier her gekommen sind, mussten die Arme öffnen und die relative Sicherheit und Geborgenheit einer größeren Gemeinschaft loslassen und sind in Hildesheim schon von vielen mit offenen Armen empfangen worden. - Dafür kann ich an dieser Stelle allen nur Dank sagen: Dankeschön und Vergelt's Gott! - Lieber Bischof Josef, du hast es in deinem Grußwort vorhin gesagt: Wir gründen kein neues Kloster und übernehmen auch nicht die Pfarrei. Wir sind hier als Zeugen der Hoffnung, dass Er lebt. Wir sind hier, um Brückenbogen zu schlagen zwischen Jerusalem, dem Ort der Urgemeinde, und St. Godehard, der Diözese Hildesheim, der ganzen deutschen Kirche. Auch als kleine benediktinische Gemeinschaft werden wir im Rhythmus von Gebet und Arbeit leben und laden Sie alle herzlich ein, am Stundengebet und an der Eucharistie in dieser Kirche bzw. im Kapitelsaal teilzunehmen. Unsere Arbeit wird darin bestehen, Kontakte zu bündeln und konzentrieren, und zwischen den Kirchen im Heiligen Land und in Deutschland zu vermitteln. Unsere Arbeit in St. Godehard soll unsere Arbeit im Heiligen Land stützen, damit von hier aus den Menschen in Israel und Palästina Hilfe zu teil werden kann. Auch dazu laden wir Sie herzlich ein. Helfen Sie uns dabei. - Wir verstehen unser Beten und Arbeiten hier als einen Dienst am Kind in der Krippe, als einen Dienst am Gekreuzigten für die, die unsere christliche Hilfe brauchen.

Schwestern und Brüder, ich möchte Sie einladen, in diesem Advent 2003 vielleicht besonders dieses "gekreuzigte Kind" im Blick zu halten, und damit das Hilflose und Schutzbedürftige in unserem Nächsten, das flehend die Arme nach uns ausstreckt, und doch in Wirklichkeit vielleicht die Arme nach uns ausstreckt, weil es uns helfen und schützen will. - Es gibt so viele "gekreuzigte Kinder": in unserer Straße, unserer Stadt, unserem Land, im Heiligen Land, überall auf der Erde. Wenn wir für sie die Arme öffnen und an ihrer Seite gehen, dann mag auch der Allmächtige für uns seine Arme öffnen und uns zur Seite stehen in unserem Mühen: Uns Mönchen im Heiligen Land im Beten und Ringen um den Frieden, ihnen hier im Beten und Ringen um die Gestalt der Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends. Und das ist keine billige Jenseitsvertröstung, keine Hans-guck-in-die-Luft-Haltung, das ist angesichts des Kindes in der Krippe vielmehr ein sehr konkreter und praktischer Auftrag. Denken wir an die Worte der Männer aus der Apostelgeschichte:

"Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen!"

- Er lebt, Er kommt wieder, Er wird geboren, in jedem von uns. Das ist die bleibende Botschaft der Bibel, die Botschaft des Landes der Bibel und der einen christlichen Kirche des Heiligen Landes aus den vielen Völkern. - Der Advent ermahnt uns Jahr für Jahr neu, auf Ihn zu warten, so wie es die ersten Christen in Jerusalem getan haben. Öffnen wir unsere Arme für Den, Der da kommen will...

Amen.

+ Abt Benedikt Lindemann OSB