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Kirche unter dem Kreuz

01. Januar 2009

Predigt von Abt Benedikt Lindemann OSB am Fest Kreuzerhöhung zur Aussendung der ersten Brüder in die Vertretung St. Godehard / Hildesheim am 14.9.03

Liebe Schwestern und Brüder,

recht genau drei Jahre ist es nun her, dass mit dem Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg die so genannte Al-Aqsa-Intifada ausgebrochen ist. Kamen vorher noch Tausende von Pilgern und Touristen jeden Tag, um die heiligen und alten Stätten der drei monotheistischen Weltreligionen zu besuchen, so kann man die Besucher seither fast an den zehn Fingern abzählen. Wenn nicht gerade spektakuläre Anschläge geschehen, oder wenn nicht der palästinensische Ministerpräsident zurücktritt und der ohnehin kränkelnde Friedensprozess so einen weiteren Schlag erhält, dann rangieren die Meldungen über das Heilige Land inzwischen auf den letzten Seiten der europäischen Zeitungen. Hat man in Europa das Heilige Land vergessen?

Fast 1700 Jahre ist es her, dass die Kaiserinmutter Helena am 13. September 326 das Heilige Kreuz gefunden haben soll und dass im Jahre 335, ebenfalls an einem 13. September, die konstantinische Grabes- und Auferstehungskirche eingeweiht wurde. - Der Ursprung unseres heutigen Festes Kreuzerhöhung.
In den folgenden Jahrhunderten wurde es wieder stiller um das Heilige Land, zunächst auch noch, als die verschiedenen muslimischen Eroberer und Besatzer kamen. Als im Jahr 1095 Papst Urban II. aufrief, das Heilige Land zu befreien, nahmen, wie man sagte, in den folgenden Jahrzehnten wieder Tausende und Abertausende das Kreuz und zogen los und hinterließen blutige Spuren von Europa bis hier her.
Und auch danach wurde es wieder still. Erst durch Napoleons Ägyptenzug, erst recht nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, geriet das Heilige und doch so bitter und blutig umkämpfte Land wieder einmal in den Focus der Weltgeschichte.

Viele Menschen haben zu allen Zeiten die schönen und heiligen Seiten dieses Landes kennen lernen dürfen, weit mehr Menschen aber werden mit dem Land Blut und Gewalt verbinden, heute nicht anders als in der Vergangenheit. Und jedem Einzelnen von uns geht es doch auch so: Gerade wir ausländischen Ordensleute, Volontäre, Zivildienstleistende, Studierende wären doch kaum hier, wenn wir nicht auf die eine oder andere Weise von der Liebe zum Heiligen Land gepackt worden wären. Und doch können und wollen auch wir nicht vor dem die Augen verschließen, was in diesen Tagen um uns herum geschieht.

Unser Patriarch Michel Sabbah hat einmal gesagt, dass die Kirche von Jerusalem die Kirche unter dem Kreuz ist. Gerade am heutigen Fest Kreuzerhöhung im Jahr 2003 ist dieses Bild mit Händen zu greifen: Trauernd und weinend stehen wir mit den Menschen dieses Landes der unfassbaren und rohen Gewalt gegenüber, wie seinerzeit die Frauen um Maria unter dem Kreuz des Herrn. - Fassungslos über solch große Liebe und Hingabe halten wir in jeder Eucharistiefeier das gebrochene Brot in den Händen wie Maria ihren toten Sohn in ihrem Schoß hielt. - Mit Helena und Konstantin halten wir das Kreuz hoch: Denen, die verloren gehen, eine Torheit, uns aber Gottes Kraft, wie Paulus im Ersten Korintherbrief schreibt.
Die Kirche unter dem Kreuz lebt und betet und arbeitet an den Orten, wo sich in der Fülle der Zeiten Heilsgeschichte ereignet hat. Die Grotten Betlehems, die Blumen im Galiläischen Frühling und die Steine Jerusalems erzählen davon, schreien es geradezu in das von Leiden und Schmerzen gepeinigte Land, in die ganze Welt hinaus. Wer im Heiligen Land als Christ lebt, weiß früher oder später, dass hier kein Platz ist, für romantische Träumereien. Wäre hier das Paradies, dann hätte Gott Seine eigene Schöpfung verleugnet, denn Er will uns Sein Heil nicht einfach überstülpen. Er will, dass wir aus eigenem Willen und aus eigener, von Ihm uns geschenkter Kraft und Freiheit "Ja!" sagen zu Seiner eifernden Liebe. Und das sind für jeden Einzelnen und für unsere Gemeinschaften immer wieder Wege und Prozesse, anstrengend und Kräfte zehrend, immer wieder Herbergssuche und immer wieder Kreuzweg. - Aber auch immer wieder Gloria in excelsis Deo und Tabor und Emmaus. Denn auch das darf die Kirche unter dem Kreuz erfahren: Wie nah Gott uns Menschen sein will, gerade in Leid und Dunkel, und wie nah wir Ihm dabei kommen dürfen. Das durften wir hier auf dem Zion zum Beispiel mit den beiden Gruppen junger Menschen aus Palästina und Israel erfahren, die sich einige Male hier getroffen haben, um Schritte des Kennenlernens und der Versöhnung aufeinander zu zu tun. Und das erleben Sie alle wohl an den Stellen, wo Sie Dienst tun.

Die Kirche unter dem Kreuz ist immer schon eine bunte Kirche gewesen, zu der einheimische Christen genauso gehörten wie solche, die aus allen Ecken der Welt und zu allen Zeiten immer wieder gerade in die Stadt Jerusalem gekommen sind. Wir Benediktiner hier auf dem Zion und in Tabgha sind nun seit etwa 100 Jahren hier, mit allen Höhen und Tiefen, durch die die Geschichte das Heilige Land in dieser Zeit geschickt hat. Ursprünglich von Deutschland aus gegründet, sind die Verbindungen nach Deutschland auch zu keiner Zeit abgerissen. So wie Paulus seine Gemeinden auch stets an Jerusalem zurückgekoppelt wissen wollte, so war unser Kloster immer rückgebunden an Deutschland. Und, umgekehrt: Durch unser Kloster wurden die deutschen Diözesen und Ordensgemeinschaften wieder an das Heilige Land und an Jerusalem rückgekoppelt.

Im Wissen um diese Verbindungen und ihre Notwendigkeit in beiden Richtungen, wollen wir mit unserer Gemeinschaft nun einen neuen Weg einschlagen: Schon seit einiger Zeit gab es in der Gemeinschaft den Gedanken, in irgendeiner Form eine Art von Stützpunkt in Deutschland zu errichten.

Wegen des zunehmenden Priestermangels muss die Diözese Hildesheim die Pfarreien in der Stadt Hildesheim umstrukturieren. Durch verschiedene persönliche Kontakte kam ich mit Bischof Josef von Hildesheim ins Gespräch über die Pfarrei St. Godehard, die ebenfalls von dieser Neuordnung betroffen ist. Am vergangenen Sonntag wurde Pastor Winfried Henze, der mehr als 20 Jahre treuen Dienst in St. Godehard getan hat, verabschiedet und der Dompfarrer und Stadtdechant Wolfgang Osthaus als neuer Pfarrer eingeführt. Pfarrei und Diözese stellen uns nun das Pfarrhaus von St. Godehard zur Verfügung, damit wir dort unsere Vertretung einrichten können. Wir werden natürlich unser Chorgebet und die Eucharistie feiern und dazu auch die Christen der Pfarrei und Stadt einladen, und wir werden in Kontakt mit verschiedenen Institutionen und Gremien der Pfarrei und der Diözese stehen. Seelsorge im engeren Sinne eines Pfarrers werden wir aber nicht übernehmen.

In unseren Gesprächen in den vergangenen Wochen und Monaten hat sich vielmehr ein Begriff als sehr griffig erwiesen, um Sinn und Zweck und Arbeitsweise unserer Vertretung zu beschreiben: Botschaft. - St. Godehard wird so etwas wie eine kleine diplomatische Vertretung in Deutschland für unsere Klöster im Heiligen Land sein: Hier sollen bestehende Kontakte gebündelt, gepflegt und ausgebaut, neue Kontakte geknüpft werden; hier soll eine Informationsstelle für alle Fragen zum Heiligen Land und zu Jerusalem, zu unserer Gemeinschaft, zum Studienjahr und der Friedensakademie sein; wir stehen für Vorträge oder Gesprächsrunden zur Verfügung. Im gegebenen Rahmen werden wir von St. Godehard aus Produkte aus dem Heiligen Land vertreiben, z.B. Olivenholzarbeiten aus Betlehem oder den Weihrauch aus unserer eigenen Herstellung, um so ein weiteres wirtschaftliches Stützbein zu etablieren.

Gerade in diesen Tagen und Wochen, in denen hier im Land Zäune und Mauern wachsen, will St. Godehard ein Fenster der Kirche unter dem Kreuz in die Kirche der Welt sein und für die Kirche der Welt eben auch ein Fenster in die Kirche unter dem Kreuz. In diesem Sinne darf ich auch Sie, liebe Brüder und Schwestern, einladen, St. Godehard als eine Anlaufstelle für Sie in Deutschland anzunehmen! Helfen Sie unseren Brüdern, die dort jeweils für eine gewisse Zeit Dienst tun werden, eine Brücke zwischen Deutschland und dem Heiligen Land zu bauen! Wenn Sie in Deutschland sind, besuchen Sie St. Godehard und, wenn es sich anbietet, stellen Sie sich für eine kleine Gesprächsrunde oder einen Vortrag zur Verfügung! So wie die meisten von uns wirtschaftlich auf Touristen und Pilger angewiesen sind, so wichtig ist für diese Menschen in ihrer Heimat der Kontakt zum Heiligen Land. Helfen Sie mit! Im Dienste der Einen Jerusalemer Kirche unter dem Kreuz, jenseits aller konfessionellen Grenzen!

Am kommenden Donnerstag werden mit Br. Thomas und Br. Basilius die ersten Brüder nach Hildesheim fahren, im November wird dann auch P. Bernhard nach Deutschland kommen. - Am Ersten Advent sollen die Brüder dann offiziell auch in St. Godehard begrüßt werden, bis dahin werden sie damit beschäftigt sein, das Pfarrhaus, das derzeit renoviert wird, einzurichten und erste Kontakte zu knüpfen. Br. Thomas und Br. Basilius werden für zwei oder drei Jahre in St. Godehard Dienst tun, P. Bernhard für etwa ein halbes Jahr. Sofern es unsere personelle Situation zulässt, werden dann immer wieder Brüder in einem Rotationsverfahren in Hildesheim sein. Das gilt auch für Brüder, die weiterstudieren oder eine sonstige Ausbildung in Deutschland machen. Darüber hinaus wird St. Godehard für jeden der Brüder, der auf Urlaubs- oder Dienstreise in Deutschland unterwegs ist, eine Anlaufstelle und feste Adresse sein. Insofern möchte ich insbesondere unserer ersten Crew, Thomas, Bernhard und Basilius, fünf Gefährten mit auf den Weg geben, darf diese Fünf aber jedem von uns Mönchen als Begleiter und Berater zur Seite stellen, wenn er für kürzer oder länger in Hildesheim sein wird:

Es sind fünf Menschen, die auf ihre Weise zur Kirche unter dem Kreuz gehören; deren Charakterzüge und Eigenschaften Euch bei Eurer Arbeit helfen mögen; deren Fürbitte wir uns anvertrauen dürfen; die Euch auch im fernen Hildesheim immer mit der Kirche von Jerusalem verbunden sein lassen.

Da ist natürlich zuerst die Gottesmutter Maria. - Ich wünsche Euch die Gottesfurcht und den Gehorsam des jüdischen Mädchens, dem der Engel Gabriel in Nazareth begegnete, und die Liebe und Treue der reifen Frau, die unter den Kreuz ihres Sohnes stand und mit Seinen Jüngern hier auf dem Zion gebetet und gelebt hat.

Ich wünsche Euch die Spontaneität und das Vertrauen des kleinen Jungen, von dem in der Brotvermehrungsgeschichte nach Johannes die Rede ist: Dass Ihr mit dem Wenigen, das wir in den Händen halten, vor den Herrn treten könnt, damit Er, der mit uns Menschen Mitleid und Erbarmen hat, den Menschen durch Euch helfen und dienen kann, damit alle satt werden.

Den Lieblingsjünger des Herrn, den Johannes, darf ich Euch mit auf den Weg geben: Als Zeugen des Abendmahles und der Fußwaschung hier auf dem Zion und der Erscheinung des Auferstandenen am See Gennesareth.

Als vierten Begleiter gebe ich Euch den heiligen Jakobus mit, den man den Herrenbruder nennt: Dieser erste Bischof der Stadt Jerusalem möge Euch immer verbinden mit Jerusalem und mit dem Zion, dem Ort des Pfingstereignisses, das die Jünger und Maria im Heiligen Geist gesammelt und konzentriert und sie dann ebenfalls in der Kraft des Heiligen Geistes mit der Frohen Botschaft in alle Welt hinausgeschickt hat.

Unser Ordensvater, der Heilige Benedikt, sei Euer fünfter Weggefährte: Für ihn war die Urgemeinde hier auf dem Zion ein Leitbild für seine Mönchsgemeinschaft, insbesondere auch der Wunsch des Auferstandenen: "Der Friede sei mit Euch!" ist ein Leitmotiv benediktinischen Lebens als einzelner Mönch und als Mönch in Gemeinschaft. Ich wünsche Euch seine Liebe zum Einzelnen und zur Gemeinschaft, seinen Willen und seine Treue, Gott und den Frieden zu suchen, weil die Kirche unter dem Kreuz auch die Kirche im Licht des Ostermorgens ist!

An dieser Stelle sage ich ein herzliches Wort des Dankes an P. Prior Br. Thomas: Du bist mir in den vergangenen acht Jahren als Bruder und Prior zur Seite gestanden. Nun erwartet dich in Hildesheim eine neue Aufgabe und Herausforderung im Dienst unserer Gemeinschaft von Zion und Tabgha. Für deine Bereitschaft in Vergangenheit und Zukunft sage ich dir im Namen der Brüder herzlichen Dank! Ich bin sicher, dass deine Liebe zum Heiligen Land nicht erlischt, und ich wünsche dir Kraft und Freude beim Aufbau unserer Vertretung in St. Godehard.
Vorstellen darf ich ihnen, Brüder und Schwestern, P. Cornelius Hörnig, der am 17. September Br. Thomas im Amt des Priors der Abtei Hagia Maria Sion ablösen wird. P. Cornelius kommt aus der großen Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg, wo er viele Jahre Direktor des Gymnasiums der Abtei war. Nach seiner Pensionierung kam er zu uns und ist nun für einige Jahre von seiner Gemeinschaft für uns freigestellt. Auch dir, lieber P. Cornelius, sage ich herzlichen Dank für deine Bereitschaft, das Amt des Priors zu übernehmen. Ich wünsche dir Gottes Segen, gerade in dieser schweren Zeit, die das Land und wir alle, die wir hier leben, erfahren.

Jedoch, liebe Schwestern und Brüder,
gerade wir, die wir hier im Heiligen Land leben, wissen, dass dieses Land für mehr steht als für Bomben in Cafes und menschenverachtende Behandlung an Checkpoints, als für Arbeiter an der Trennungsmauer und Selbstmordattentäter in Bussen, als für Gewalt und Gegengewalt, als für Blut und Tränen. - Sonntag für Sonntag, Werktag für Werktag feiern wir in der Eucharistie das Geheimnis von Leiden, Tod und Auferstehung unseres Herrn, feiern wir das Geheimnis wahren Lebens und wahren Friedens. Wir sind aufgerufen, Seine Zeugen zu sein, in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde, auch in Hildesheim.

Amen.

+ Abt Benedikt Lindemann OSB