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Das Fest der Lebenden

07. November 2010

Predigt von P. Basilius Schiel OSB am 32. Sonntag im Jahreskreis C, 7. November 2010, in der Dormitio

Allerseelen liegt erst wenige Tage zurück. – Wir haben unserer Verstorbenen gedacht. Derer, die wir selbst kennen und erlebt haben, die für unser Leben von Bedeutung sind, zu denen wir einen Bezug und eine Beziehung haben. Und solcher, die wir vielleicht nur dem Namen nach kennen.
So geht es mir zumindest mit den meisten der Namen unserer verstorbenen Mitbrüder, die wir am Allerseelentag auf unserem Klosterfriedhof verlesen haben. Und so geht es mir, wenn ich irgendwo auf der Welt über einen Friedhof gehe und auf den Grabmälern und Tafeln die Namen der Menschen lese, die dort beigesetzt sind.

Maria ist im Jahr 1900 geboren, 1982 stirbt sie.
In seinem Film-Epos „Heimat“ erzählt Edgar Reitz unter anderem ihre Lebensgeschichte. Als sie 1982 stirbt kommen zwar viele, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Doch als der Sarg durch das Dorf zum Friedhof getragen wird, bricht ein Unwetter los, alle laufen davon und suchen Schutz vor dem Regen. – Der Sarg mit Maria steht alleine auf der Straße. Im Regen. Sogar das Blumenbouquet haben sie mitgenommen.

Das Fest der Lebenden und der Toten

„Das Fest der Lebenden und der Toten“ heißt der elfte und letzte Teil der ersten Staffel von „Heimat“. Und Edgar Reitz erzählt nun auch vom Fest der Toten, wenn Maria, wieder in dem Alter, in dem sie geheiratet hat, in den Festsaals des Dorfes geht und dort alle ihre schon verstorbenen Verwandten und Freunde trifft.
Eine Szene aus einem Film. – Aber haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie das wohl ist nach dem Tod? Haben Sie versucht, sich ein Bild davon zu machen?

Wie alt sind Sie dann? So alt wie zum Zeitpunkt Ihres Todes? Sind Sie in einem Alter, in dem Sie besonders glücklich sind oder waren?
Und die, denen Sie dann begegnen, von denen Sie zumindest hoffen, dass Sie ihnen begegnen: Ihre verstorbenen Familien-mitglieder, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn – unsere Mitbrüder im Kloster. Wie alt sind die wohl? So alt wie zum Zeitpunkt ihres Todes? So alt, wie wir sie gerne in Erinnerung haben?
Liebe Schwestern und Brüder, Sie merken, dass solche Fragen durchaus berechtigt erscheinen – dass sie aber gleichzeitig recht absurd sind. Welche Vorstellungen auch immer wir uns vom Leben nach dem Tod machen, von dem, was uns dort erwartet – der Nächste hat davon schon ganz andere Vorstellungen. Vorstellungen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit widersprechen, wenn man die Maßstäbe unserer Logik an sie anlegen würde. Vorstellungen, die uns im letzten soweit übersteigen, dass wir es uns eben gar nicht vorstellen können.

„Schließlich starb auch die Frau. – Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben Brüder haben sie doch zur Frau gehabt“, fragen die Sadduzäer Jesus (Lk 20,32.33). – Die Frage hat eine ähnliche Qualität wie jene, die ich vorhin nach dem Lebensalter der Teilnehmer am „Fest der Toten“ gestellt habe. Gleichermaßen naheliegend wie absurd.
Jesu Antwort aber klingt arrogant. Sie klingt, als würde Er auf diese Welt herabschauen, als wäre das, was hier geschieht, unwichtig: „Nur in dieser Welt heiraten die Menschen“, (Lk 20,34).

Nur in dieser Welt...

Dass das letzte Hemd keine Taschen hat, haben die meisten Menschen inzwischen durchaus verstanden. Und bei allem Streben nach materiellem Wohlstand, Erfolg und Bildung kann auch der postmoderne Mensch des dritten Jahrtausends mit dem Psalmenbeter sprechen: „Fürchte dich nicht, wenn einer reich wird, / wenn die Herrlichkeit seines Hauses sich mehrt. / Denn im Tod nimmt er das alles nicht mit, / seine Herrlichkeit folgt ihm nicht hinab“, (Psalm 49).
Immer mehr Menschen suchen daher nach einem tieferen Sinn in ihrem Leben und finden für sich selbst häufig den Ansatz einer Antwort in ihren Beziehungen. In der Liebe zu ihrem Partner; in ihren Freundschaften; in ihrer Vernetzung mit anderen, mit denen sie sich für gemeinsame Ziele einsetzen.
Doch letztlich wird Jesus auch ihnen sagen: „Nur in dieser Welt!“ Am Ende steht auch Dein Sarg alleine auf der Straße, nicht einmal die Blumen auf dem Sarg werden sie Dir lassen…

Das klingt hart. Aber es ist, wenn wir ehrlich sind, soweit auch wahr. Doch es ist freilich nicht die ganze Wahrheit.
Wäre diese Welt tatsächlich in den Augen Gottes unwichtig, hätte es nie einen Knaben im Binsenkörbchen gegeben, das die ägyptische Prinzessin aus dem Nil gezogen hätte, geschweige denn den Knaben im Stall von Betlehem, zu dem Hirten und Weise kamen. Jesus hätte uns nichts von der Nächstenliebe erzählen müssen, hätte die Seligpreisungen für sich behalten können und hätte auch keine Zeit mit den Kranken und Besessenen verschwenden müssen.

Hätte.

Nicht nur in dieser Welt!

Aber er hat. Und das ist das Entscheidende bzw. es provoziert die Entscheidung, die Entscheidung des Glaubens. – Glauben wir diesem Jesus? Glauben wir, dass Er nicht nur der Erzähler schöner Gleichnisse und Geschichten, der Heiler und Wundertäter ist, der Freund und Bruder an unserer Seite? Dass Er mehr und anders ist? Dass für Ihn gilt: nicht nur in dieser Welt?

Die Frage um die Frau mit ihren sieben Männern birgt gewiss viele Facetten in sich. Und sie weckt ihrerseits weitere Fragen nach jener Welt und nach denen, die gestorben sind und – wie wir hoffen – auferstehen.
Die Antworten Jesu jedenfalls sind nicht weniger rätselhaft als faszinierend: Sie werden nicht mehr heiraten, und sie werden auch nicht mehr sterben, „weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind“ (Lk 20,36).
Wollten wir dies mit unseren Vorstellungen und Bildern verknüpfen, kämen wir wieder zu Maria in ihrem Sarg im Regen ohne Blumen. Und wir kämen zum Fest der Toten im Festsaal unseres eigenen kleinen Dorfes.
Aber Gott „ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig“ (Lk 20,38). So geglückt unser Leben in dieser Welt auch sein mag, unsere Beziehungen, Gesundheit, materielle Versorgung. – Das was uns erwartet, ist größer und anders.
Und auch umgekehrt: Was in diesem Leben nicht glückt an Beziehungen, in der Gesundheit, in unserem materiellen Dasein, auch das wird überstiegen werden.
Hat Gott uns schon dieses Leben als Leben gegeben, damit wir dieses Leben miteinander teilen, Schöpfung, Liebe, Barmherzigkeit. – Dann wird das, was kommt, erst recht den Namen Leben verdienen. Denn Gott ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; für ihn sind alle lebendig.

Das Fest der Lebenden

So sperrig und weltfremd uns das heutige Evangelium auch daherkommt, es stellt uns am Ende die einfache Frage, ob wir wirklich an die Auferstehung der Toten glauben. Ob wir Gott mehr und anderes zutrauen als das, was wir uns ausmalen und vorstellen können und wollen.
Lassen wir diese Sehnsucht nach dem Leben in uns wach werden und wachsen?
Diese Sehnsucht will auch dieses Leben und diese Welt fruchtbar machen.
Auch wenn sie uns von unserem Sarg einmal die Blumen wegnehmen und die Blumen auf unserem Grab selbst sterben: Gott lädt uns ein zum Fest der Lebenden.