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Wenn diese schweigen...

04. März 2012

„Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.“ (Lk 19,40)

Fastenpredigten 2012: „Was dir Frieden bringt …“
(vgl. Lk 19,42) – Zweiter Fastensonntag (4. März 2012)

Die Dormitio-Basilika gesehen von der Neustadt im Westen.
Liebe Schwestern und Brüder,

gehen wir heute Abend mit ihm, Jesus, von Betanien den Ölberg hinauf. Es ist ein steiler, mühsamer Weg an Feigenhainen vorbei, bis man endlich in Betfage – Feigenhausen – ankommt und verschnaufen kann.

Zwei seiner Jünger schickt er dorthin voraus, um einen noch unberittenen Esel zu besorgen. Dieser Esel dient nicht nur als Reittier, sondern nimmt zugleich eine wichtige Rolle ein. Nicht selten kommt der Esel als ein Tier der Entscheidung in der Bibel vor.
Er spielt bis in unsere Tage für Palästinenser eine symbolische Rolle. In unseren Tagen erzählt man sich: Der Esel ist ein geduldiges Tier und vermag schwere Lasten zu tragen. Eines Tages, wenn es ihm zuviel wird, schüttelt er seinen Herrn ab. In diesem Wort Abschütteln steckt das arabische Wort „Intifada“, das wir alle aus den Medien kennen.

Man liest bei dem Gang von Betanien nach Jerusalem leicht über die Eselgeschichte hinweg. Dabei ist sie ein heilsgeschichtliches Ereignis, einen unberittenen Esel zu besorgen. Beim Propheten Sacharja lesen wir im neunten Kapitel:

Juble laut, Tochter Zion, jauchze Tochter Jerusalem! Siehe dein König kommt zu dir, gerecht und siegreich. Demütig ist er und reitet auf einem Esel, auf dem Füllen einer Eselin.
(Sach, 9,9)

Wenn nun Jesus in Betanien die unberittene Eselin besteigt, dann gibt er dadurch kund, dass er der erwartete König des Friedensreiches ist. Schon das allein ruft bei den Pharisäern und Schriftgelehrten inneren Protest hervor: Wie kann er nur? Welche Ansprüche stellt der kaum bekannte Prediger, da oben aus Galiläa, aus Naphtali, dem Land der Finsternis und Heiden – wie es Matthäusevangelium heißt Welchen Anspruch stellt dieser Jesus? Wenn sie doch dieses Zeichen in ihrer Blindheit erkannt hätten, was ihnen dadurch an diesem Tag zum Frieden diente. Dass er nicht mit einem weltlichen Anspruch gekommen ist, sondern dass er der wahre Fürst ist, der ihnen den lang ersehnten und verheißenen Frieden bringen will.

Auf dem Gipfel des Ölbergs angekommen, öffnet sich ein weiter Blick auf die Heilige Stadt, auf den Tempel mit seinen goldenen Zinnen. Ein Blick, der einem bis heute für einen Augenblick, den Atem anhalten lässt. Zwar existiert heute der Tempel nicht mehr, dort aber glitzert heute die goldene Kuppel der Omar-Mosche. Den Ostabhang hinab stimmen die Jünger ein Loblied auf die Wundertaten Gottes an, die durch Jesus geschehen sind:

Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn!

Jetzt ist ausgesprochen und heraus gesungen, was bis zu diesem Augenblick nur das Reiten Jesu auf einem Esel andeutete: Er, der daher reitet, ist der lang ersehnte Friedensfürst. Mit ihm kommt Friede im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe.

Jetzt reicht es den Pharisäern, die Zeugen dieses Festzugs sind: „Bring deine Jünger zum Schweigen“, schreien sie Jesus entgegen. Erstaunlich wie Jesus reagiert. Er ruft ihnen entgegen: „Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!“

Die Wahrheit lässt sich nicht unterdrücken. Sie wird sich durchsetzen, auch wenn man Verbote verhängt. Zumindest werden der Ölberg, von dem er nun herab reitet, und die Mauern Jerusalems, auf die er mit seinen Jüngern zureitet, Zeugen an seinen Einzug in die Heilige Stadt sein und bleiben bis heute. Jährlich ziehen an Palmsonntag Hunderte von Christen des Heiligen Landes mit einer unzähligen Schar von Pilgern aus aller Welt von Betfage den Ölberg hinab und jubeln ihm zu, der der König des Friedens ist für das Heilige Land und die ganze Welt.
Mich persönlich hat diese Prozession am Palmsonntag immer wieder neu angerührt. – Übrigens der einzige Tag im Jahr, an dem in aller Öffentlichkeit die Christen im Heiligen Land wahrgenommen werden. – Ist es doch die Stadt Jerusalem, die bis in unsere Tage nach Frieden schreit, und auf die sich die Prozession zu bewegt.

Schon Jesus brach auf diesem Weg beim Anblick der Stadt in Tränen aus und klagte: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt!“ Wie aktuell, ja wie aktuell ist bis heute dieser Ausruf Jesu über Jerusalem, die heilige unheilige Stadt geblieben.

Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!

So klagen heute auch die christlichen Kirchen in Jerusalem und im Heiligen Land. Die Zahl der Christen nimmt durch Auswanderung und Abwanderung rasant ab. Im ganzen Land gibt es nur noch 2% Christen. Eine Leidensgeschichte der Kirchen. Was zurückbleibt sind die Heiligen Stätten, Kirchengebäude und Klöster, in denen sich nur noch eine Handvoll einheimischer Christen, Mönche bzw. Nonnen zum Gebet versammeln.
Ich erinnere mich an eine Pfingstpredigt des ehemaligen lateinischen Patriarchen Michael Sabbah, in der er u.a. sagte: „Die Kirche von Jerusalem ist die Kirche unter dem Kreuz!“ Die Mauern der Kirchen und Klöster haben eine wichtige Aufgabe übernommen: Von Christus un seiner heilenden Botschaft zu künden. Das fällt mir immer wieder auf.
Geht man z.B. von der Neustadt Jerusalems auf die Altstadt im Süden zu, so ragt über die Stadtmauer die Kuppel und der Turm unserer Abtei heraus, so als sei die Abtei schon jahrhunderte lang fester Bestandteil der Altstadt Jerusalem und stete Botschafterin des Evangeliums. So predigen ebenso alle anderen Kirchen auch von denen, die sich in diesen Gebäuden versammeln bzw. einst in den Klosterruinen versammelt haben: von Menschen, die an Jesus Christus glauben bzw. geglaubt haben. Er der gekommen ist, um Menschen mit Gott und miteinander zu versöhnen und den wahren Frieden zu bringen.

Und hier in Europa, in Deutschland? Es ist nicht zu leugnen, dass Kirchen leerer werden. Dabei übernehmen auch hier die Kirchengebäude eine wichtige Funktion. Wenn auch immer weniger Kirchenbesucher an den Gottesdiensten teilnehmen, erzählen die Kirchengebäude von denen, die sich in ihnen als Kirche versammeln, die dort Gott loben und preisen, Gottes Wort als heilende Botschaft verkünden und vernehmen.

Die Steine der Kirche vermögen den einen oder anderen Betrachter zu erinnern, dass er auch Getaufter ist, eingeladen, lebendiger Stein der Kirche zu sein. Es kann aber auch sein, dass das Bewusstsein über die Bedeutung des Kirchengebäudes ganz verloren gegangen ist.
Vor einigen Jahren war ich mit einem Mitbruder zum ersten Mal zum Priorat der Benediktiner auf der Huysburg gefahren. Auf der Fahrt durch Sachsen-Anhalt entdeckten wir in einem kleinen Dorf einen wunderbaren romanischen Kirchturm. Wir fuhren auf ihn zu und wollten die Kirche besichtigen, die leider zusammen gefallen war. Wir wollten nun unbedingt wissen, was für eine Kirche das war. Wir wandten uns an unmittelbare Nachbarn der Kirche, erkundigten uns, wer in dieser Kirche immer Gottesdienst gefeiert habe. Die Antwort war ganz lapidar: „Wissen wir nicht!“

Dennoch haben unsere Dome und Kirchen eine nicht zu unschätzende Bedeutung, von dem zu künden, der in unsere Welt als Fürst des Friedens gekommen ist. Sollten auch die Christen schwinden, dann gilt, was Jesus den Pharisäern am Ölberg gesagt hatte:

Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!

Amen.