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Leben ist immer ein Risiko

01. September 2013

Predigt von Pater Ralph zum 21. Sonntag im Jahreskreis (1. September 2013)

Granatäpfel im Klostergarten Granatäpfel im Klostergarten

Hier geht's zu den Texten der Lesungen des 21. Sonntags

Wer einen Garten hat,...

Wer einen Garten hat, weiß, wie schön das sein kann – ganz je nachdem, was man angelegt hat, pflegt und erhofft. Der eine beobachtet das Klettern der Bohnen, ein anderer sitzt im Schatten seines Apfelbaumes, der oder die Dritte freut sich an der Schönheit der Blumen, die er gesät oder gepflanzt hat.

Der Herr lässt es wachsen, aber ich muss auch das Meine dazutun: Gießen und düngen, schneiden, den Boden hacken – und auch das Unkraut ziehen, damit es gegen Blumen und Gemüse nicht Überhand gewinnt. Da muss ich auf die Knie hinunter, nicht nur an die Dornen und Stacheln heran, sondern auch unter der Oberfläche an die Wurzeln. Wenn ich die nicht ganz herausbekomme, ist mein Bemühen nicht viel wert und ich werde bald wieder von vorn anfangen müssen.
Die Wurzeln sind es, die Wasser und Nährstoffe aufnehmen, und sie geben der Pflanze Halt. Nicht nur von der Sonne, sondern auch von den Wurzeln her entscheidet sich, wie stark eine Pflanze wird, sei sie nützlich oder nicht – wenn wir da schon unsere Kriterien von Nutzen und Schönheit anlegen wollen.

Ähnlich sieht es auch im Garten meiner Persönlichkeit aus. Das, was oben herauswächst, was ans Licht tritt, womit ich in Verbindung mit meinen Mitmenschen trete – all das hängt von dem ab, was in meinem Innern wächst und herrscht. Mein Reden und mein Handeln sind das Ergebnis auch davon, durch welche Wurzeln meine Lebenskraft ans Licht treibt. Jede und jeder von uns bringt Blumen und Disteln hervor, jeder irgendetwas Nützliches und immer etwas Schönes – dafür hat Gott uns ja nach seinem Bild geschaffen –, aber bei jedem Menschen können wir auch in die Brennnesseln langen, und auf dem fruchtbarsten Kompost meiner Seele wächst vielleicht das übelste Kraut.

Es ist die Wurzel

Jesus Sirach geht es in der Lesung um den Hochmütigen, den Überheblichen, für den er wenig Chancen auf Heilung sieht: Ein Kraut der Bosheit hat in einem solchen Menschen seine Wurzeln geschlagen. Es sind nicht allein äußere Verhaltensmuster, die wie Dornen andere verletzen und den eigenen Charakter beschädigen, sondern es ist die Wurzel. Sie gräbt den Lebenssaft ab, jene Kraft, die den Menschen zu einer guten Persönlichkeit werden lassen könnte. An deren Stelle tritt eine Selbstinszenierung, der nichts groß und grell und laut genug ist.

Hier kommen wir zum Evangelium, wo die Hochszeitsgäste selbst sich die Ehrenplätze aussuchen. Jesus liefert hier aber nicht eine Art Knigge für Fortgeschrittene, etwa, wie man sich durch Bescheidenheit beliebt macht, oder durch das Einhalten von Konventionen einem begrenzten Sozialgefüge Stabilität verleiht.
Erstens geht es nicht um ein irdisches Fest, sondern um das ewige Hochzeitsmahl im Reich Gottes. Zweitens geht es um eine Ehre, die sich niemand selbst anmaßen kann. Vor Gott kann sich niemand zum Maß seiner eigenen Ehre erheben. Das muss er oder sie auch nicht – die Ehre wird ihm und ihr geschenkt. Es braucht aber mehr als nur Bescheidenheit, es braucht echte Demut, sich so etwas schenken lassen zu können.

Weil Gott uns sich selbst schenkt...

Wenn wir einmal in der Vollendung des Reiches Gottes ankommen, dann wird es nicht um die Geschenke oder Gaben gehen, die wir mitbringen und mit denen wir uns vor den Anderen in Szene setzen könnten. Schon jetzt, hier und heute morgen, geht es um das Geschenk, das der Herr uns gemacht hat – und macht. Er hat uns nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. Welche Ehre könnte für den glaubenden Menschen größer sein? Das freilich wollte sich der Mensch nicht schenken lassen, sondern lieber aus Eigenem werden wie Gott. Nicht bloß Adam und Eva, sondern wir alle weisen die Ehre Gottes, unsere eigene göttliche Ehre, immer wieder zurück.

Und dann wird Gott Mensch. Er gibt seine Göttlichkeit in die menschliche Natur hinein. Eine jede unserer Personen lässt er durch Taufe und Eucharistie daran Teil haben. Er schenkt uns nicht bloß irgendeine Ehre, so dass wir den Kopf oder auch nur die Nase hoch tragen könnten – er schenkt uns: sich selbst, um uns bis in den Himmel hinaufzuholen.

Und die Sitzordnung dort? Auf mancher irdischen Feier kann sie tatsächlich ein Graus sein. Für den Himmel aber glaube und hoffe ich, dass es die „Sitzordnung“ des Leibes Christi sein wird, die uns organisch als Glieder miteinander und mit Christus als unserem Haupt verbindet.
Ich glaube nicht, dass wir uns hier vor anderen oder gar auf Kosten anderer profilieren müssen, um für dort bessere Plätze zu erkämpfen.
Ich glaube auch nicht, dass wir uns mit irgendeinem vermeintlich Geringen bescheiden müssen. Die eigentliche Demut ist doch, uns das Größte schenken zu lassen: Mit Gottes Abbild geehrt, Kinder Gottes zu sein – Schwestern und Brüder Christi.

Und ich glaube auch nicht, dass unser irdisches Leben eines dieser furchtbaren Spiele ist, mit denen die Tischordnung ausgeknobelt wird. Da greifen bei mir alle Fluchtreflexe. Ich glaube vielmehr, dass Gott uns ins Leben gesetzt hat, damit wir uns hier an seinen Gaben freuen und die Vorfreude auf das nähren, wovon uns die Sinne einmal übergehen sollen.

Unser „Gärtner”-Auftrag

Das aber ist nicht nur ein Spiel. Es ist nicht nur in unsere Freiheit, in der wir uns verfehlen können, sondern auch in unsere Verantwortung gestellt.
Ich möchte noch einmal auf das Bild des Gartens zurückkommen und auf das, was in unserem Innern Wurzeln schlägt. Das Wesentliche steht im Tagesgebet dieses Sonntags. Da heißt es: „…Pflanze in unser Herz die Liebe zu deinem Namen ein. Binde uns immer mehr an dich, damit in uns wächst, was gut und heilig ist. Wache über uns und erhalte, was du in uns gewirkt hast.“ Gott selbst setzt den Samen, und wenn wir uns ihm anvertrauen, wird er auch über das Wachsen wachen.
Aber auch wir sind für die Pflege unseres persönlichen Gartens zuständig, haben unseren Teil beizutragen, dass das in der Taufe empfangene Samenkorn wachsen kann, dass seine Wurzeln sich ausbreiten, dass sie unsere gefährdeten Hanglagen befestigen und vor dem Abrutschen schützen, dass diese Wurzeln zu einem Netzwerk des Guten werden – in unserem Innern und im Innern unserer Beziehungsgefüge. Dass dort, wo die Pflanze unserer Gotteskindschaft wächst, nichts anderes, nichts Böses mehr Raum und Wurzel fassen kann. Blüten und Früchte wird Gott selbst wachsen lassen.

Wir alle sind Menschen und leben in dieser Welt – so, wie sie ist. Wir alle tragen auch die Keime anderer, gefährlicher Kräuter in uns. Ich weiß sehr gut, wie schwer es sein kann, mit der eigenen Wahrheit unter der Oberfläche umzugehen. Mancher mag da eine Art Teichfolie über seiner eigenen Unterwelt ausbreiten – Hauptsache dicht – und darüber ein Kiesbeet anlegen. Ein Anderer schaufelt vielleicht solange metaphysischen Mulch obendrauf, bis alles erstickt ist. Beides kann auch ganz schön aussehen – aber es ist tot.

Leben ist immer ein Risiko

Leben ist immer ein Risiko. Das mutet Gott uns zu. Er traut uns den Mut und die Kraft zu, daran glücklich, ja, am Ende selig zu werden. Er will, dass wir leben. Ich glaube, dass es gilt, im Wortsinne radikal zu leben, unser Leben auf die richtigen radices zu gründen, uns mit diesen Wurzeln im Dasein zu verankern und aus ihnen unsere Kraft zu ziehen. Radikal zu leben bedeutet, die Wurzeln in der Mitte in die Tiefe zu treiben. Dann können mir die Extreme, die oberflächlichen Randlagen, nicht gefährlich werden. Wenn Mitte und Tiefe greifen, kann ich nicht über den Rand fallen.

Die Schattenseite der Schönheit unseres Lebens ist seine Zerbrechlichkeit. Weil niemand allein lebt, auch im Kloster nicht, werden sich immer sowohl die bunten Blumen als auch die Disteln aus den Nachbargärten bei mir einstellen. Dagegen kann ich mich weder mit hohen Zäunen schützen, noch, indem ich Gift auf der anderen Seite verspritze.

Weil wir nicht allein leben, können und dürfen wir einander helfen. An mancher miesen Wurzel muss man vielleicht zu zweit ziehen, und gemeinsam kann man sich auch an der Schönheit der Blumen der Anderen freuen.
Jede und jeder für sich ist gut beraten, nicht nur zu überlegen, was man als nächstes noch anpflanzen könnte, sondern ab und an auch einmal mit dem geistlich-botanischen Bestimmungsbuch durch die Rabatten zu gehen und kritisch in den Blick zu nehmen, was da so alles aus der Erde schaut und was vielleicht darunter liegt.
Ich glaube, dass es dieser Garten dieses meines Lebens ist, der einmal Teil des Paradieses sein soll. Ich bin dafür verantwortlich.

Wir sind nicht erst im Himmel zum Hochzeitsmahl geladen, sondern schon jetzt, in der Eucharistie, gilt, was wir eben im Hebräerbrief gehört haben:

Ihr seid hingetreten zum Berg Zion, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung derer, die im Himmel verzeichnet sind.

Wir sind doch schon mitten drin.

Amen.