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Wo ist Emmaus?

01. August 2009

Predigt von P. Basilius Schiel OSB in St. Godehard, Hildesheim, am Ostermontag 2004

"Am ersten Tag der Woche waren zwei von den Jüngern Jesu auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist." (Lk 24,13)

Ein einziger Satz, der erste unseres heutigen Evangeliums. Ein einziger Satz: Niemand spricht ein Wort, schon gar nicht Jesus selbst. Auch ist sonst kaum etwas berichtet, was unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Zumindest zunächst nicht. Wir kennen ja, liebe Schwestern und Brüder, die weitere Geschichte, wissen um die spannende und überraschende Begegnung der beiden Jünger mit ihrem auferstandenen Meister. Von da her bekommt auch dieser erste Satz gewiss seine Bedeutung.

Aber sehen wir davon erst einmal ab und blicken nur auf diesen einen Satz: "Am ersten Tag der Woche waren zwei von den Jüngern Jesu auf dem weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist." - Ein Satz, und das, was über diesen einen Satz gesagt und geschrieben wurde und wird, damit kann man ganze Bibliotheken füllen. Und die wichtigste Frage, die sich mit diesem Satz verbindet und um die sich viele Leute zu allen Zeiten Gedanken gemacht haben, lautet: Wo liegt dieses Emmaus?

Eine Frage, die man bei fast allen biblischen Orten und Plätzen stellen kann: Neben dem einen Abendmahlssaal in der Nachbarschaft unserer Abtei auf dem Zion in Jerusalem, der von den meisten Christen anerkannt und verehrt wird, gibt es noch einen bei der syrisch-orthodoxen Kirche. Und selbst das Heilige Grab hat noch ein Double: das so genannte Gartengrab, nur einige Hundert Meter Luftlinie nordöstlich davon entfernt. - Das ist fast so eine Art Grundgesetz: In all den vielen Wirren und Kriegen, die über das Heilige Land wegzogen, sind die konkreten Örtlichkeiten manchmal verloren gegangen, vergessen worden, nicht aber die Traditionen, die sich damit verbinden. Fragt man dann irgendwann nach diesen Orten, dann bekommt man mitunter sehr verschiedene Antworten. Was zunächst einmal nur bedeutet, dass es wohl Wahrheiten gibt, die hinter alle dem stehen und die wichtiger und tragfähiger sind als die bloße geographische und historische Wahrheit.

Ich darf trotzdem noch einmal die Frage wiederholen: Wo liegt Emmaus? - Ich kann Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, nicht nur eine, auch nicht bloß zwei, sondern gleich sieben Antworten anbieten, und auch die sind im letzten nur eine Auswahl.

Ich bin nicht nur ein Mönch aus dem Heiligen Land, und werde Ihnen als solche zwei Antworten vorlegen können, sondern auch ein Kind meiner Zeit und als solches lebt auch ein Mönch mit dem Internet. Und da habe ich interessante Antwortmöglichkeiten gefunden.

So gibt es z.B. mit dem Namen Emmaus in Remscheid ein evangelisches, kirchliches Trauerinstitut, das sich explizit die Verse aus dem Lukasevangelium, die wir vorhin gehört haben, auf die Fahnen geschrieben hat: so wie die Jünger trauernd auf dem Weg waren, und versucht haben, im Gespräch ihren Schmerz über das zu verarbeiten, was sie erlebt hatten. - Emmaus also als Symbol für den Umgang mit Trauer, für den Weg des Trostes und schließlich ein Ort neuer Hoffnung und neuen Lebensmutes.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der französische Priester Abbé Pierre die Lebensgemeinschaft Emmaus gegründet, eine inzwischen internationale Gruppierung, die auch in Deutschland in einigen Städten ansässig ist. Sie hat vorwiegend sozialpolitische Ziele, bildet Wohngemeinschaften für Obdachlose, Mittellose und wie auch immer Gestrandete. - Emmaus also auch ein Symbol für die rettende Herberge am Weg, bevor es dunkel wird, ein Dach über dem Kopf für die kalten und einsamen Nächte des Lebens.

Ein drittes, besonders im evangelischen Bereich zu findendes Emmaus: Kirchengemeinden, die sich nach dem kleinen biblischen Dorf nennen. - Emmaus also ein Symbol, ein Leitbild auch für christliche Gemeinden und Gemeinschaften unserer Zeit, ein Ort, an dem doch hoffentlich der Herr einkehrt und mit den Menschen das Brot bricht.

Besonders interessant fand ich auch ein viertes Emmaus, das ich im Internet gefunden habe: Die ehemalige Diözesanpilgerstelle des Bistums Münster, nunmehr als Reisebüro organisiert, trägt ebenfalls den Namen Emmaus. - Emmaus demnach viertens ein Symbol dafür, dass Erfahrungen, die man unterwegs, auf Reisen machen kann, einen bereichern und das Leben verändern; Emmaus also ein Ort der Lebenswende.

Auf ein fünftes Emmaus bin ich gestoßen: Im Bistum Mainz hat sich eine Gruppe namens Emmaus formiert, um die geistliche Vorbereitung auf den Weltjugendtag 2005 in Köln zu stützen. - Emmaus hier also ein Symbol für den Weg, den junge Menschen noch vor sich haben, der aber entschieden auf ein Ziel zustrebt, ein Symbol für Entwicklung und geistliche Wachstumsprozesse.

Das sechste Emmaus kenne ich schließlich aus eigener Erfahrung im Heiligen Land: Direkt an der Autobahn Tel Aviv - Jerusalem nämlich liegt der Ort Emmaus-Nikopolis, einer von mehreren Flecken in Israel/Palästina, die beanspruchen, das biblische Emmaus zu sein. Im Umfeld dieses Ortes leben drei geistliche Gemeinschaften: Die Trappistenmönche, die ein kontemplatives Leben aus Gebet und Handarbeit führen; die aus Deutschland stammende Jesus-Bruderschaft, die insbesondere im Bereich der Jugendarbeit und der innerchristlichen Ökumene tätig ist; und die Gemeinschaft der Seligpreisungen, eine neue geistliche Gemeinschaft aus zölibatären Frauen und Männern sowie Ehepaaren und Familien, die sich in Israel besonders um den Dialog mit dem Judentum bemüht. - Emmaus also auch ein Ort geistlichen Ringens und Suchens, in der Einsamkeit der Mönche und im Gesamt einer Gemeinschaft.

Besonders im Herzen bewegen tut mich das siebte Emmaus, das ich auch Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, an Herz legen, oder besser: ins Herz geben möchte. Es ist ein weiteres kleines Dörfchen im Heiligen Land, das zu den Kandidaten für das biblische Emmaus gehört: Emmaus-Qubeibe ist sein Name. Während wir hier jetzt Wortgottesdienst und Eucharistie feiern, wandern meine Jerusalemer Brüder mit unseren Studierenden und Weiteren dorthin, ein Emmaus-Gang, wie man ihn auch hier in Deutschland mitunter kennt; mit etwas Lokalpatriotismus für das Heilige Land darf ich vielleicht sagen: Es ist der Emmaus-Gang. Das Schöne daran ist, dass es in diesem kleinen Ort deutschsprachige Borromäerinnen und in einem weiteren Haus deutschsprachige Salvatorianerinnen gibt, mit denen die Brüder dann die Messe feiern, in der die Geschichte der beiden Emmaus-Jünger gelesen werden wird. Die Salvatorianerinnen unterhalten dort inmitten von Oliven- und Feigenbäumen, Weinstöcken und Pinien ein Heim für alte, behinderte, pflegebedürftige palästinensische Frauen aus den umliegenden Dörfern. Das tragische an diesem Emmaus: Es droht eingemauert zu werden von jener Mauer, die auch immer häufiger in den deutschen Medien zu sehen ist. - Emmaus also auch ein Ort der Angst; der Angst, alleine zu sein, abgeschlossen zu sein vom Leben, aber auch ein Ort der Hoffnung, dass doch noch etwas passieren möge, dass etwas, dass jemand kommen möge und die drohende Gefahr abwende.

Wo ist Emmaus? - Eine einfache Frage und sieben mögliche Antworten. - Ich formuliere die Frage noch einmal um, und Sie werden vielleicht erahnen, dass unser Text noch einmal neu zu leuchten beginnt: Wo ist Emmaus? kann man, wenn man sich die ganze Geschichte noch einmal ansieht, auch so formulieren: Wo kann ich dem auferstandenen Herrn begegnen bzw. wo begegnet Er mir - Klammer auf: vielleicht auch dort, wo ich es nicht gleich merke; Klammer zu - Fragezeichen.

Eine Antwort ergibt sich aus dem Text. - Sie stellt uns noch ein achtes Emmaus vor Augen und fasst zugleich die sieben anderen zusammen: Die beiden Jünger, so dürfen wir vermuten, waren nach all den schrecklichen Ereignissen der Tage zuvor, auf dem Weg in ihr Heimatdorf, deshalb konnten sie ihren unbekannten Wegbegleiter auch so einfach zum Bleiben einladen. Sie waren auf dem Weg nach Hause. Emmaus ist ihr zu Hause. - Umgekehrt: Zu Hause ist Emmaus. Nach Emmaus gehen, heißt: nach Hause gehen. Dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus begegnen und Ihn dort erkennen, heißt: Ihm auf dem Weg nach Hause begegnen, Ihn dort erkennen, wo ich lebe, wo ich hingehöre, wo ich arbeite, esse, schlafe, wo mein Alltag ist. - Neben den außerordentlichen Orten, an denen der Auferstandene sich zu erfahren gibt, z.B. an Seinem eigenen, leeren Grab oder im Kreis der verängstigten Jünger, ist es eben nicht zuletzt unser ganz einfaches Leben, in dem wir die Augen und die Ohren und besonders das Herz offen halten sollten, um Ihn zu erkennen… Brannte uns nicht das Herz? Brennt uns denn das Herz?

Wo ist Emmaus?

Dort, wo Hoffnung die Trauer ablösen will.

Dort, wo Menschen anderen Menschen Schutz geben.

Dort, wo Christen den Herrn einladen.

Dort, wo Entscheidendes und Bereicherndes erfahren wird und wo gegebenenfalls neue Wege beschritten werden.

Dort, wo junge Menschen sich auf den Weg in eine bessere Zukunft machen.

Dort, wo Menschen im Glauben aufeinander zugehen und Grenzen überwinden.

Dort, wo Mauern versuchen, unseren Leib, unseren Geist, unsere Seele einzuschließen, wo aber die Hoffnung stärker bleibt.

Dort, wo wir zuhause sind.

Liebe Schwestern und Brüder! Jesus lebt! Machen wir uns auf den Weg nach Emmaus. Ich wünsche uns die Kraft und vor allem den Segen Gottes für diesen schwierigen Weg nach Emmaus.

Amen.

P. Basilius Schiel OSB