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Ein Mehr an Glauben?

01. Oktober 2022

„‘Stärke unseren Glauben‘ – diese Bitte im Munde der Apostel klingt auch heute noch nach im Gebet vieler Christen. Und das verwundert auf den ersten Blick auch nicht. Es ist doch eine fromme Bitte. Wer so betet, gesteht ein, dass sein oder ihr Glaube schwach ist. Die Apostel bitten nicht um etwas Nebensächliches, sondern um das Wichtigste: einen starken Glauben. Die Antwort Jesu überrascht uns: ‚Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen.‘

Wie so oft reicht auch für das Verstehen des Evangeliums am heutigen Sonntag nicht nur ein erster Blick, sondern wir müssen tiefer in den Text hineinschauen. Wenn man den griechischen Text, der der Übersetzung ins Deutsche zugrundliegt, liest, dann fällt einem direkt auf: Da steht in der Bitte der Apostel nicht ‚Stärke unseren Glauben‘, sondern „Füge hinzu zu unserem Glauben“ – die Apostel bitten also um eine Mehr an Glauben. Das liest sich ganz anders und wirkt direkt ungewöhnlich: Gibt es ein Mehr an Glauben? Warum begehren sie mehr Glauben?

Im Theologie-Studium habe ich gelernt, zwischen dem Glaubensakt, dem Vertrauen (fides qua), und dem Glaubensinhalt (fides quae), also dem was man glaubt, zu unterscheiden. Welchen Glauben begehren die Jünger vermehrt zu bekommen? - das Vertrauen oder den Glaubensinhalt?

Am Anfang des Kapitels, aus dem das heutige Sonntagsevangelium stammt, - in den Versen, die direkt vor der Bitte der Apostel stehen-, geht es um Vergebung und Verzeihung! Wenn sich dein Nächster gegen dich versündigt und um Verzeihung bittet, sollst du sie ihm gewähren: nicht nur einmal, sondern siebenmal. Es geht also um Verzeihen, es geht um Vergeben aus der Kraft des Glaubens heraus. Es geht um das Tun des Glaubens, um die Glaubenspraxis. Also: Wie lebst du deinen Glauben? Oft erkennt man anhand der Lebenspraxis eines Menschen, woran dieser oder diese tatsächlich glaubt, worauf er oder sie sein Leben baut.

Man benötigt viel innere Kraft, Geduld und Ausdauer, um vergeben zu können. Es ist besonders schwierig einer Person immer wieder zu verzeihen. Im Endeffekt bitten die Apostel also nicht abstrakt um mehr Glauben, sondern um Kraft zur Erfüllung der Gebote der Gottes- und Nächstenliebe im Alltag. Sie bitten um Kraft, um immer wieder neu, jeden Tag ihren Mitmenschen verzeihen zu können. Es geht in ihrer Bitte also nicht um mehr Vertrauen oder mehr katechetisches Wissen, sondern um Stärkung der Glaubenspraxis durch die sich der Inhalt ihres Glaubens, ihr Vertrauen auf Gott, zu erkennen gibt.

Diese Bitte wird nun von Jesus mit scharfen Worten beantwortet. Umso mehr ich über diese Worte Jesu nachdenke, umso mehr Zweifel habe ich, ob Jesus das ernst gemeint hat. Er hat zwar viele Wunder und Heilungen vollbracht, er hat den Sturm gestillt und das Brot vermehrt, aber niemals hat er eine Teleportation bewirkt. Bäume, die durch die Luft fliegen, kenne ich aber aus anderen Kontexten: aus den Harry-Potter-Büchern, oder auch aus Superheldengeschichte, also aus dem Bereich der Fantasieliteratur. Und da gehören die durch die Luft wirbelnden Bäume auch hin. Jesus kritisiert seine Apostel. Er weist sie zurecht. Weder geht es um fliegende Bäume in seiner ironischen Antwort, noch um das Groß- oder Kleinsein des Glaubens.

Entscheidend ist für Jesus, dass der Glaube wirklich Glaube ist. Nicht mehr oder stärkerer Glauben ist vonnöten – der Glaube allein genügt. Die Jünger müssen nicht nach mehr oder besserem Glauben streben. Ihnen ist schon alles gegeben, was sie brauchen. Glaube ist kein Schatz, den man anhäufen kann. Glaube ist die Suche nach Gott in einer sich wandelnden Welt. Glaube ist eine bestimmte Lebenshaltung und eine Orientierung, ja er ist eine Pilgerschaft und braucht zugleich die Fleischwerdung, die Glaubenspraxis. Glaube ist ein Weg des Vertrauens und des Mutes, der Liebe und der Treue; er ist eine Bewegung in die Richtung jener Zukunft, die Christus uns eröffnet hat und in die er uns einlädt, ihm zu folgen.“

Pater Elias und wir alle in Tabgha und auf dem Zion wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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