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Die Intimität des Gebets

21. Mai 2023

Vor zwei Monaten wurde der neue Altar hier auf dem Zion geweiht – während der bewegenden Liturgie ist mir einer der vielen offiziellen und inoffiziellen Fotografen besonders aufgefallen. Mit seiner Körpergröße überragte er die meisten Gottesdienstteilnehmer … aber das war nicht der Grund, warum er mir auffiel. Er fotografierte nicht nur die Altarweihe, sondern sein Augenmerk lag eigentlich viel stärker auf den Menschen aus nah und fern, die mit uns zusammen den Gottesdienst feierten. Er schien versessen zu sein, Menschen beim Gebet, bei der stillen Meditation, bei der inneren Betrachtung oder beim Empfang der Kommunion abzulichten. Wollte er versuchen, ein Bild von dem inneren Zwiegespräch, von der Begegnung des Gläubigen mit Gott zu erhaschen? Ist das möglich?

Die biblischen Lesungen des heutigen Sonntags erzählen uns über das Beten: vom Gebet der Apostel und Maria im Obergemach, dem Ausharren und Bleiben im Gebet und in der Einmütigkeit; von der Kraft und Freude, die aus dem Gebet erwächst, wenn der Geist Gottes auf den Menschen ruht; von der tiefen Gottesbeziehung, die es dem Beter ermöglicht, Leid, Beschimpfungen, Schmähungen und Leid zu ertragen. Und im Evangelium erklingt das Gebet Jesu bei seinem Abschied von den Jüngern, jetzt da seine Stunde gekommen ist.

Die Abschiedsrede Jesu, sein geistliches Testament, mündet nicht in eine Ermahnung oder Belehrung, nicht in einen Ratschlag oder eine Predigt, sondern in ein Gebet. Mit einem Gebet ist der Raum innerster Intimität vor Gott und auch vor seinen Jüngern eröffnet – es geht um Jesu Herzensanliegen. Jesus lässt uns bei seinem Beten zuhören. Mehr als in Reden, Bildern, Diskussionen und Streitgesprächen lässt uns Jesus hier einen Blick in sein Inneres tun.

Jesus bekennt, dass der einzige, wahre Gott, sein Vater ihn groß gemacht, ihm Selbstbewusstsein, Kraft und einen wunderbaren Auftrag gegeben hat. Indem Jesus auf diese Liebe seines Vaters geantwortet und den Ruf angenommen hat, hat er seinerseits Gott groß gemacht. Und auch seine Erfahrung mit den Menschen bringt Jesus ins Gebet. In seiner Sendung, Menschen den Namen Gottes erfahrbar zu machen, Gottes Mitgehen, seine Nähe und Treue sichtbar zu machen, hat er das Wunder erlebt, dass er angenommen wurde, dass Menschen auf sein Wort gehört, ihn ernst genommen und so auf ihre Weise verherrlicht haben. In seinem Gebet blickt er in diesem Augenblick nur auf sie, auf die, die ihm nachfolgen, und kann alle Ablehnung, Dunkelheit und Verletzungen beiseitelassen.

Wenn jemand betet, öffnet er sein Herz, er sagt sein Innerstes, er legt das Geheimnis seiner Person und seines Selbstverständnisses offen. Beten ist die tiefste und mächtigste Form der Kommunikation. Um auch so beten zu können, müssen wir uns in unserem Leben geschützte Räume und geschützte Zeiten einrichten. Für die Jünger Jesu war das Obergemach ein solcher geschützter Raum - ein Raum oberhalb oder hinter den alltäglichen Räumen unseres Lebens. Die frühen Mönche in der judäischen Wüste hatten so auch ihre Zellen aufgebaut: eine erste Höhle, in der sie gelebt und gearbeitet haben und darüber eine zweite Höhle, nur mit einer Leiter zu erreichen, in der sie sich zum Gebet und zur Betrachtung zurückziehen konnten.

Gebet ist etwas Intimes, etwas Inneres, etwas Geheimnisvolles, etwas vom Herzen, was mit keiner Kamera der Welt abgelichtet werden kann, so sehr man es auch versuchen möchte. Wahrscheinlich hat dieser israelische Fotograf bei der Altarweihe gespürt, dass in den Gläubigen etwas Besonderes geschieht, das er gerne ablichten wollte: etwas Eigenes, etwas, was den Menschen Kraft, Freude und Frieden schenkt, eine einzigartige Begegnung in einem besonderen Raum der Herzen.

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Pater Elias und alle Brüder in Jerusalem und Tabgha wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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